GERMANIA.

VIERTELJAHRSSCHRIFT

FÜR

DEUTSCHE ALTERTHUMSKÜNDE.

BEGRÜNDET VON FRANZ PFEIFFER. FORTGESETZT VON KARL BARTSCH.

JETZT HERAUSGEGEBEN

OTTO BEHAGHEL.

SECHSUNDDREISSIGSTER JAHRGANG. NEUE REIHE VIERUNDZWANZIGSTER JAHRGANG.

4)A

WIEN.

VERLAG VON CARL GEROLD'S SOHN. 1891.

Pf

3

INHALT.

Seite Über die Quellen der Hans Sächsischen Dramen. Von A. L. Stiefel . . . 1

Über Ari Frodi und seine Schriften. Von Konrad Maurer 61

Zur Beurtheilung von Jacob Grimms Ansicht über das grammatische Geschlecht.

Vou Victor Michels 121

Ahd. liuzil lutzü. Von Gustav Ehrismaun 136

Zur Declination der ahd. Abstracta. Von M. H. Jellinek . . . . . . 137

Zur Metrik des altsächsischen und althochdeutschen Allitterationsverses. Von

Herman Hirt 139

Deutsch-lateinische Gedichte aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Von E. W. E.

Roth 179

I. Pancketum Leopoldinum 179

II. Benedictio catholischen Essens 181

III. Alia benedictio 181

Bemerkungen zur Entwicklung des Grobianismus. Von Ludwig Fränkel . . 181

Zu Reinke Vos. Von R. Sprenger 193

Zu Reinhart Fuchs. Von Demselben 195

Drei Akrosticha. Von Adolf Bartsch 196

Eine koptische Variante der Legende von Gregorius auf dem Stein. Von Rein- hold Köhler 198

Zu Germania XXXI, 325. Von Eduard Lohmeyer 200

Zu Hans von Bühel. Von O. Behaghel 241

Bruchstücke einer Handschrift der 'Königstochter' Hans des Bühelers. Von

A. Bartsch 246

Zu Wolframs Liedern. Von O. Behaghel ÜöT

Karl Koppmann, Zu Walther von der Vogelweide. Von R. Bechstein . . . 258 Mittheilungen aus mittelhochdeutschen Handschriften. Von F. W. E. Roth

Ein Bruchstück eines deutschen Cato. Von R. Schmidt 267

Alte Ergänzungen des Alphabets. Von Demselben 274

Eine Quaestio 'Quodlibetica' des Johann Fabri de Werdea aus dem Jahre 1502.

Von G. Ruchwald 275

Zur Metrik des altsächsischen und althochdeutschen Allitterationsverses. (Schluß.)

Von H. Hirt 279

Zum Proteusmärchen und anderen wandernden Stoffen. Von Ludw. Fränkel. 308

Zu den Schweizer Minnesängern. Von A. So ein 311

Drittes Paulinzeller Reunerbruchstück. Von G. Ehr is mann 313

Zu Germania XXXVI, 2. Von 0. Behaghel 314

Arminius und Siegfried. Von L. Schmidt 315

Naciitracr. Von K. St ei ff 316

Seite Zu R. Köhlers Abhandlung: „Mich wundert, daß ich fröhlich bin." Von O. Gril-

lenberger 318

Wer nicht weiß, was rechte Lieb sei. Von G. Ehrismann 319

Aus isländischer Volksüberlieferung. Von E. Kahle 369

Volksmeinung und Volksaberglaube aus der deutschen Steiermark. Von

A. Schlossar 380

Nochmals zu Germania XXXVI, 196 ff. Von O. Behaghel 406

LTTTERATUR.

Ludwig Wirth, Die Oster- und Passionsspiele bis zum XVI. Jahrhundert. Von

Reinhold Bechstein 96

Mittheilungen 240. 368. 438

Friedrich Kauffmann, Geschichte der schwäbischen Mundart im Mittelalter und in

der Neuzeit. Von Hermann Fischer . . 406

Berichtigungen 320. 438

Gelbhans, Mhd. Dichtung in ihrer Beziehung zur biblisch-rabbinischen Litteratur.

Von Paul Hagen s 437

BIBLIOGRAPHIE.

Bibliographische Übersicht der Erscheinungen auf dem Gebiete der germanischen

Philologie im Jahre 1887. Von Karl Bartsch und Gustav Ehrismanu 101

201. 321. 439

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN

DRAMEN.

Die nachfolgende Studie geht in das Jahr 1882 zurück, wo ich im „Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg" einen Vortrag über den Gegenstand hielt. Es war mir damals gelungen, viele unbekannte Quellen des Dichters zu finden. Da sich jedoch einige meinen eifrigsten Nachforschungen entzogen, so ließ ich den Vortrag sowie das Studien- material ungedruckt liegen. Das stets wachsende Interesse für den Dichter veranlaßt mich heute, die Ergebnisse meiner damaligen Unter- suchung zu veröffentlichen. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß die Arbeit auch in ihrer unvollkommenen Gestalt nicht ganz ohne Nutzen sein werde. Manches wurde allerdings inzwischen schon von Anderen gefunden. So ist Szamatölski auf die mir seit 1882 bekannte Quelle zum fünften, und F. Neu mann auf diejenige zum 41. Fastnachtspiel, beide natürlich unabhängig von mir, gekommen, und E. Goetze hat Vieles in seiner vortrefflichen Ausgabe der Fastuachtspiele des H. Sachs kurz erwähnt. Eine vollständige Zusammenstellung des gesammten Materials ist aber meines Wissens noch nicht versucht worden.

Ich ließ die Abhandlung in der Hauptsache unverändert, nur wurden neuere Arbeiten, so weit sie zu meiner Kenntniß kamen, oder mir erreichbar waren, verwerthet. Da ich ausschließlich auf die hie- sigen, vielfach unzureichenden Hilfsmittel angewiesen war, ist es frei- lich leicht möglich, daß mir Manches entgangen ist.

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei noch bemerkt, daß es mir lediglich um die stofflichen Quellen zu thun war. Die Fragen, wer oder was Sachs zur Beschäftigung mit dem Drama oder mit ein- zelnen Dramen anregte, wo er die dramatische Kunst soweit bei ihm davon die Rede sein kann erlernte und vervollkommnete, sind ganz außer Betracht geblieben.

Bezüglich des Verhältnisses der Dramen zu den einzelnen Quellen mußte ich mich meist auf kurze Andeutungen beschränken, sonst wäre

GERMANIA. Nene Reihe XXIV. (XXXVI.) Jabrg. 1

2 A. L. STIEFEL

diese Abhandlung zu einem Buche angewachsen. Aus diesem Grunde unterließ ich es auch, so verführerisch es war, den letzten Quellen der oft interessanten Stoffe und ihrer Verbreitung nachzuspüren und ähnliche deutsche oder ausländische Dichtungen zum Vergleich heranzuziehen, wofern sie nicht Quellen des Nürnberger Meisters waren.

Ich beginne mit den Fastnachtspielen und schließe mich der chronologischen Ordnung an, wie sie uns E. Goetze gegeben hat.

I. Fastnachtspiele. 1. Von der Eygenschaft der Lieb. Bevor wir der Quelle näher treten, sei eine chronologische Frage erledigt. Sachs führt in dem von ihm angelegten Register seiner Fastnachtspiele (s. Goetze, Fastnachtsp. des H. Sachs I, p. V) dieses von 1518 datierte Spiel als sein erstes an, während er das 1517 vollendete „Hojfgesindt Veneris" als zweites folgen ließ. Die Lösung des Räthsels liegt vielleicht darin, daß die erste Redaction jenes Spiels schon auf den 1. Mai 1515 zurückgeht. Diese ist uns als Kampff Gesprech „Von der Liebu (H. Sachs, Theil I, Fol. 311 ff.) erhalten. Ein Vergleich des Gesprächs mit dem Spiel lehrt, wie der Meister- sänger rasch seine Dichtungen umbildete , wie leicht er zur dramati- schen Form überging, und bringt uns der Frage nach der Quelle näher: Dort sehen wir nur zwei Personen, den Ritter und den Alten, und ihr Gespräch ist mit erzählenden Versen durchfiochten, während hier vier Personen Ritter, Alt, Frewlein, Knab auftreten und der dramatische Dialog schon ziemlich geschickt gehandhabt wird. Dort führt sich der Dichter selbst sprechend ein: er belauscht das Gespräch, er beginnt und schließt das Gedicht; im Spiel verschwindet er natürlich ganz. Das, was der Alte in dem Gespräch gegen den Ritter vorbringt, das legte S. im Spiele größtentheils dem „Frewlein" in den Mund, dabei ist der größte Theil der vom Alten gesprochenen Verse wörtlich in das Spiel aufgenommen worden. Sehr viel ist neu hinzugekommen, so Vers 64—87, 151 154, 173—177, 181—195, 200 bis 209, 230—233, 302—310, endlich fast der ganze Schluß (V. 319 bis 396). Auch die Fabel, besonders die Katastrophe, ist nicht un- wesentlich verändert. Im Gespräch „kam geflogen . . . Ein Greif . . . grewlich vnd wildt, Der fürt mit jm eines Weibes Bildt; Der Greijf zer- reiß das Weib mit grimb u. s. w." Im Spiele dagegen kommt ein Knab und schildert den Tod der Herzogin mit völlig veränderten Einzel- heiten.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 3

Fassen wir nun das Gespräch für sich allein ins Auge, so scheinen bezüglich der Form die Vorgänger unseres Dichters, Folz und Rosenblüt, von Einfluß gewesen zu sein. Ob auch für den Inhalt, möchte ich weder bejahen noch verneinen. Viel kann ihnen Sachs indeß nicht verdanken. Er verräth vielmehr schon in diesem frühen Versuch, mit welchem Eifer und Verständniß er sich in die landläufige Literatur, zumal in die Übersetzungsliteratur Boccaccio, Nicolaus v. Wyle, Ovids Metamorph. die Volksbücher u. s. w. vertiefte, und wie bald er in der poetischen Bewältigung des Materials seine eigenen Wege ging. Sonach glaube ich, daß wir kaum für das Ge- spräch und noch weniger für das Spiel eine besondere stoffliche Quelle zu suchen brauchen. Erfüllt von den Eindrücken seiner Leetüre, be- sonders von den Novellen Boccaccios und den Translationen des Nicol. v. Wyle, hat der jugendliche Dichter, der wohl selbst der Liebe Bitterkeit und Süße gekostet haben mochte, seine Empfin- dungen in dem Dialog zwischen Ritter , Alten und „Frewlein" zum Ausdruck gebracht. Am meisten, nämlich den Titel des Stückes, viele Gedanken , Bilder und Vergleiche verdankt er der ersten Translation des Nie. v. Wyle »von Euriolo vnd Lucretia darin alle aygenschafft der liebe", aufweiche Erzählung übrigens die Verse 265—270 ausdrücklich verweisen. Der Tod der Herzogin (V. 319 ff.) ist durch die Erzählung von Pyramus und Thisbe (0 vid, Met. IV, 96 f.) eingegeben worden, auf welche S. (V. 160 164) ebenfalls hindeutet.

2. Das Hoffgesindt Veneria. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß S. durch Hermann v. Sachsenheims „Mörin" zu diesem Spiele angeregt wurde; daß er aber, wie Titt mann (H. Sachs III, p. XXVIII) sagt, darin alles, was er brauchte, zusammenfand, ist zu viel gesagt. Das Vorführen der verschiedenen Stände, Charaktere etc. macht die Annahme anderer Quellen zur Nothwendigkeit. Vielleicht hatte S. mit Gengenbachs „Gouchmat" eine gemeinsame Vorlage; denn daß er diesen selbst be- nützte, scheint mir aus mancherlei Gründen unwahrscheinlich. Ferner haben zwei ältere Fastnachtspiele eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Stücke. Ich meine „Ein Spil von Narren" (Keller, Nr. 32, I, p. 258 bis 263) und „Ain Vasnachtspil, von denen die sich die Weiber neiven lassen" (Keller, Nr. 38, I, p. 283—287). Ein Vergleich mit diesen beiden, die dem jüngeren Dichter möglicherweise bekannt waren, zeigt so recht, wie Sprache, Gehalt und namentlich edle Sitte schon in den Händen des jugendlichen Meisters riesige Fortschritte gemacht haben.

4 A. L. STIEFEL

3. Klag, Antwort vnd vrteyl zwischen Fraw Armut vnd Pluto etc.

Offenbar unter dem Einfluß des Aristophanischen Plutus verfaßt, den ja Hans Sachs im gleichen Jahr, wie dieses Spiel, unterm 13. Januar 1531 als Comedi („der Pluto ein gott aller reichtumb") be- handelt hatte. Mehrere wörtlich entlehnte Stellen l) erheben dies über jeden Zweifel. Man darf geradezu behaupten, daß das Spiel von jener Komödie ausgegangen und nur die breite Ausführung einer Scene im zweiten Acte: Penia, Cremillus und Nachbar [Aristoph. Phäus, Vers 415—626] ist.

Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fastnachtspiel zeigt Hans Folzens „Der kargen spigel" (abgedruckt bei Keller, Fastnachtsp. III, p. 1228). Hans Sachs hat dieses Gedicht jedenfalls gekannt.

4. Ein kurtzweylig fasnacht Spiel von einem bösen weib.

Das Spiel hat wenig Handlung und mag vom Dichter aus dem Leben gegriffen sein , wenn ihm nicht das bei Keller (Fastnachtsp. I, p. 47 52) abgedruckte „Paurenspil mit einem posem altem Weiba als Vorbild gedient hat. Dieses ist nun freilich viel einfacher und enthält die Figuren des Gesellen und der Magd nicht. Was diese letzteren betrifft, so scheint Sachs Anregung dazu durch zwei Gedichte des H. Folz2), die er schon einige Jahre vor dem Spiel in den Kampf- gesprächen „zwischen einer Fraicen vnd irer haußmagd" (1531) und „zwischen einer haußmagd vnd einem Gesellen* (1532) nachgeahmt hatte, erhalten zu haben.

5. Ein faßnacht spil mit vier Personen

Nemlich ein Richter, ein Buler, ein Spiler vnd ein Trincker. Die Quelle des Dichters ist eine Dichtung des Humanisten Phi- lipp Beroaldo: Declamatio ebriosi scortatoris & aleatoris de vitiositate

') So sind z. B. die Verse 195 201 des Spiels fast wörtlich in der „Comedi" zu lesen. Man vergleiche:

Fastnachtsp., V. 195 ff.: Com.:

Wann du, Armut kannst nichsen geben, Ach Armut, du kanst nichts nit geben,

Dann ein ellendt hartselig leben. Denn ein eilend hartselig Leben,

Plasen in henden gibst den mannen, Blasen an Heuden gibst den Mannen

Das weyb vnd kind vor hunger zannen Das weib vnd kind am hunger zaiien

Ein hultzen hauß vol ratzen, meuß Ein hultzen Hauß vol katzn vnd meuß

Zu rissen gwandt, vol floch vnd leuß. Zerrissen gwandt vol floch vnd leuß.

') H. Folz, „Von einem wirtzknecht vnd der haußmagd" und „Von einer frawen vnd ir maid, wie sie mit einander kriegen".

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 5

disceptantium (ed. princ. Bononiae Bened. Hectoris 1499) I). Jedoch hat Sachs nicht das Original, sondern eine deutsche Übersetzung be- nützt. Mir sind zwei solche bekannt. Die ältere erschien unter folgen- dem Titel:

Ein hüpscke subtyliche Deklamation des gelerten vn wolredende in ans Philippi Beroaldi dryen brüdern | der erst ist ein drunckner boß \ der and' ein kurer \ der drytt ein spyler. wölcher der verachtest sey | Lustig lieplich j vnd nützlich gelerten vnd vngelerten zu lesen | da ein yeijlicher rnercke vn verston mag \ wie seer schand | laster vermyden sy | har wider erber keit lügend zu teeren anzunemen.

Dediciert: „Friderich Camerer vo Dalburg" von Jacobus Wympf- feling von Schietstatt. Am Ende: Getruckt zu Straßburg zu dem Thiergarten \ Reynhart Becken Anno il/.CCCCCXHl).

Die jüngere: Ein Künstliche hof liehe Declamation vnd heftig Wort- kanipf | Zanck | vnd hader vor gericht | nemlich eins Sauffers Hurers | vnd Spilers | vnder welchen der arg est aufi seines vaters geschafft vnd Testament enterbt sein soll etc.

Dediciert von Sebastian Franck „seinem liebsten Vettern Michael Francken burger zu Nördlingu. Am Ende: Gedr. zu Augspurg durch Heinrich Stayner Anno 1539. 4°.

Letztere Ausgabe ist jedoch nicht die erste, vielmehr erschien, wie ich Goedeke, Grundriß I, p. 112 (erste Auflage) entnehme, das Büchlein bereits 1531 zu Nürnberg und dann 1536 wieder o. O.

Was das Verhältniß der beiden Übersetzungen betrifft, so halte ich es, abgesehen von dem Schlußgedicht, das ein reines Plagiat wäre, falls es wirklich von Seb. Franck selbst der Ausgabe beigefügt wor- den — was mir aber unglaublich scheint für sehr wahrscheinlich, daß der jüngere Übersetzer die ältere Arbeit vor sich hatte; doch hat er sich seine Selbständigkeit so ziemlich gewahrt.

H. Sachs kannte jedenfalls die Arbeit Francks2), die ja, wie wir sahen, zuerst in Nürnberg erschien. Viele nahezu wörtlich entlehnte Stellen machen dies zur Gewißheit.

') Mir lag die Ausgabe in den Varia Ph. Beroaldi opuscula (am Ende : Basilea 1513, 4°.) vor Ein ähnliches Werk desselben Autors ist die „declamatio an Orator sit jihilosopho & medico anteponendus^.

*) Unabhängig von mir hat Szamatolsky im vorigen Jahre Ueroaldus-Franck als Quelle des Fastnachtspiels nachgewiesen. Es sei hier auf seinen interessanten Artikel (Vierteljahrschrift für Literaturgeschichte II, p. 90—97), der meine Mitthei- lungen in Einzelheiten ergänzt und berichtigt und viele treffende Bemerkungen ent- hält, hingewiesen. So erwähnt Sz. noch eine dritte mir unbekannt gebliebene Bearbeitung

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A. L. STIEFEL

Daneben dürfte ihm aber auch Wimpffelings Arbeit nicht unbe- kannt geblieben sein. Pflegte er doch ich werde bei späteren Spielen viele Belege dafür beibringen verschiedene Versionen über einen und denselben Gegenstand zu benützen. Einzelne Stellen bei Sachs nähern sich sehr der älteren Übersetzung, so z. B. :

Wimpf. Sachs 327 ff.

Doch ir richter wan hochachtung Ist es der sitt auff disem plan,

der fürsten solt etwas vermügen laster zubeschirmen vfi zu verantwurten. So beschirmet vnß ouch etliche aller größte keyser. dan es ist zu der gedächtnuß vffgezeichnet | das der keiser Augustus

( der keyn grosseren vff

ertrich gehabt hat) des spyls aller begirlichest gewesen sey.

Das auch Claudius der keyser ein buch von de bretspyl ge- macht hab.

Das grosse leut dein laster schmuckn, So wil ich jr auch fürher vuckn. Keyser Augustus, der großmechtig, Hieng an dem Bretspiel so andechtig, Auch spilt Keyser Claudius viel Vnd macht ein buch von dem Bretspiel.

Das alt gesetz verbüts.

Sachs, V. 194. Wo dich das alt Gesetz thet er- dappen. V. 346. Daher kompt bleych vnd . . . zitterent Stinckent

bend stinckend athem. -

Bleich zittrent

Die Idee einer förmlichen Gerichtsscene, die bei Beroaldo noch nicht so ganz ausgesprochen zu Tage tritt, fand Sachs ebensowohl bei Wimpf., als bei Franck. Schon die Bilder des Ersteren mit Ausschluß des Titelbildes, das den Vater auf dem Sterbebett dar- stellt — konnte ihn darauf bringen. Auf denselben sehen wir die Brüder, den Spieler mit Karten und Würfeln, den Buhler mit einem Mädchen auf dem Schoß und den Trinker mit dem Trinkglas, vor

der declamatio von Frölinkint und beleuchtet wozu mir der Raum hier versagt ist ausführlich in fesselnder Weise die Behandlung des Stoffes durch den Nürn- berger Meister. Dagegen muß ich meine Behauptungen, daß Franck die Übersetzung des Wimpf. benutzte und daß S. auch die letztere kannte und ausbeutete, aufrecht erhalten. Die nähere Begründung verschiebe ich, da mir momentan die Franck'sche Übersetzung nicht zugänglich ist, auf eine andere Gelegenheit. Bemerken will ich liier noch, daß es auch eine französische Übersetzung der „declamatio" gibt: Le Proces des trois freres , traduü de Thoscan en vers franqois par Gilbert Damalis. Lyon, Maurice Roy, 1558. 8°. (vgl. Catal. La Valliere Nr. 3161) und, nach diesem Titel zu schließen, auch eine italienische.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 7

einem Richter, der, mit dem Stabe ausgerüstet, ernst dasitzt, ab- wechselnd ihre Sache vertreten. Zu den Füßen des Richters liegt der Geldbeutel (man vgl. Sachs nach V. 42). Daß die Bilder uns nur einen Richter zeigen, daß jeder der drei Brüder einzeln als der Sprechende erscheint, ist um so merkwürdiger, als Beroaldo aus- drücklich im Argument sagt „Res agitur apud iudices", und auch Wimpf. übersetzt „Diese sach ist vor etlichen richtern gehandelt worden", und als ferner im Texte Buhler und Spieler gemeinsam sprechen.

Ebenso wie bei Wimpf. tritt die gerichtliche Form bei Franck hervor, und hier zwar schon durch die Worte „vor gericht" im Titel. Ob die von Sachs benützte Ausgabe von 1531 denn nur diese und nicht die mir vorliegende von 1539 kann er benützt haben, da sein Spiel um 1534/35 *) entstanden ist auch ähnliche Bilder oder gar die gleichen enthalten hat, muß ich dahingestellt sein lassen, desgleichen die Frage, ob die spätere Ausgabe textlich mit der älteren übereinstimmte, weil mir die ältere Ausgabe nicht zur Verfügung stan d .

Sachs, um einen Dialog herzustellen, mußte die langen Reden der Brüder zerstückeln. Die Declamatio des Beroaldo und ihre beiden Übersetzungen zerfallen in vier Theile : Argument, Rede des Trinkers gegen den Buhler, Rede desselben gegen den Spieler (diese beiden im Original zusammengezogen) und des Buhlers und Spielers Rede gegen den Trinker. Sachs ließ schon die Bilder zeigten ihm dazu den Weg alle drei einzeln auftreten, und nach den Worten des Arguments : „ein ieglicher wird sorgfeltig syn für syn eigen nutz vnd heil vnd wird nit gedencken für syne nechsten" (Wimpf.) jeden nur für sich und gegen die beiden Anderen sprechen.

Das in den beiden Übersetzungen enthaltene Material genügte dem Nürnberger nicht; ein anderes, später von ihm noch mehrfach benutztes Buch lieferte ihm recht passenden, nahe verwandten Stoff. Ich meine Alb. v. Eybes „Spiegel der sitten" (gedr. 1511). Es sind die Capitel „Von der todsünd vnkeüschaita (Blatt 17b ff.) und be- sonders „Von trunckenheit (Bl. 39b ff.) und „Von Spilern" (F. 113b ff.), die hier in Betracht kommen. Ein Beleg mag vielleicht willkommen sein.

') Nicht früher, wegen des hier benützten Plutarch-Eppendorf (1534 gedruckt), nicht später, weil es das erste Spiel im dritten „puch der gedieht" ist.

8 A. L. STIEFEL

Sachs. V. 135 ffi. Eybe, fol. 113b.

Wie wir das im Plutarcho lesen. Man lißet das Chylon der weis philo-

Als nun Chilon, der weiß, wurd gesandt sophus ward geschickt zu den Corin-

Auß Lacedemonier Landt thios freüntschafft vnd frid mit jne zu

Gen Corinth außzurichten vil, machen | do fände er die obersten vn

Vnd als er sie fandt ob dem Spil gewaltigen spylen im prett t do fuget

Die Herrschaft, vngeendter Sachen er sich wider von danen vnd sprach |

AVolt er kein bündnuß mit jn machen. er wölte kain freütschafft haben noch

Zog heim, das man nicht sagen kundt, machen vnd die eer der Spartanorum

Er hatt mit Spilern gmacht ein bundt. (die jn gesendet hatten) beflecken mit

Auch schickt der Parther König do spilern. Es schreibt auch Policratus

Zwen gülden Wurffl Demetrio das der künig Parthorum hab geschickt

Dem König, jm zu einer schandt. dem künig Demetrio guldin würffei zu

schmäh, das er ist geweßt ain spyler.

Außer diesen Büchern bat 8. noch viele andere benützt. Es scheint, daß er, ehe er an die Arbeit ging, alles zusammenlas, was er über die drei Laster finden konnte. So entnahm er viele Stellen aus der Bibel; ferner V. 114/115 aus PI u tar ch-Eppend orf fs „Kurtz- weise und höfliche Spruch", Straßburg 1534 p. 474; Vers 111 aus Paulis Schimpf und Ernst Nr. 245 (Öesterley, p. 163); V. 82/83 viel- leicht aus Seb. Brants Narrenschiß Nr. 13; V. 65/66 und V. 296 ff. aus Narrenschiff) Nr. 16 u. dgl. mehr1).

Die Beroaldi'che Declamatio endigte ohne Schluß. Die Richter kommen nicht zum Sprechen und fällen also kein Urtheil. Das von Wimpf. hinzugedichtete, ziemlich abgeschmackte Urtheil, daß „dem Buler nur eyn rosenkrantz", „dem Sauffer eyn niderlandschen pot", „dem Spyler eyn welsch kartenspyl" zu Theil werde und daß „das überig soll man legen zamen Biß gott kum an dem letsten gericht Vnnd eym das gut dan heyme spricht", hat Sachs nicht adoptiert. Die drei Streitenden erschienen dem ehrsamen Meister gleich verwerflich in ihrem Thun; er konnte keinen zu Gunsten der anderen benachtheiligen. So erblickte er denn in der Testamentsclausel nur ein vom Vater beabsichtigtes Abschreckungsmittel für alle Drei. Er ermahnt sie also zur Besserung und vertheilt das Vermögen zu drei gleichen Theilen an sie. Daran schließt sich die unvermeidliche Scblußmoral.

') Die Verse: 156/157 der Bulr Carmelius (Charuiolaus) Nam zweyhundert pfund für einen kußu entstammen jener alten Übersetzung von Luciani „Todteti- der Quelle zu Sachs1 rDer Caron etc. Bezüglich der Citate aus S. sei bemerkt, daß F. Munckers Verbesserungen im Litteraturblatt (1884, Sp. 384 f.) dankend benützt sind.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 9

6. Der vnge raten sun. In dem von H. Sachs viel benutzten Steinhöwel'schen Aesop finden wir (ed. Oesterley, p. 156) eine Fabel „von dem vatter und ungeraten sun", aber außer dem Titel hat unser Spiel nichts damit gemein. Sachs schildert uns, wie ein junger Mensch, trotz der Ermah- nungen seines Vaters, den Verführungskünsten eines bösen Gesellen (vom Dichter als Narr bezeichnet) unterliegt. Hiebei benutzte H. S. mehrere Gedanken und Bilder aus Seb. Brants Narrenschiff, besonders Nr. 105 „Hindernis des guten". Aus letzterem ist sogar eine Stelle fast wörtlich herübergenommen. Sachs sagt (V. 182 184):

Der Narr:

Mich nimmt wunder, das dich thut lern

Dein Vatter, der alt Dockmeuser,

Das du solt werden ein Cartheuser. Bei Brant heißt es (Goedeke's Ausgabe in „Deutsche Dichter des 16. Jahrhdts.", p. 218):

wan man sieht einen, der do wil recht diin und sin in wisheit stil, so spricht man : schou den duckelmuser ! er will allein sin ein Carthuser.

7. Der Karg vnd Mildt. Dieses Spiel ist offenbar unter dem Einflüsse der Beroaldischen declamatio entstanden: Der Dichter erwähnt, daß er habe „Ein handel zu richten auß", der Vater will sein Testament machen, „Vil haders nach meim todt zu stillen" ; der zwischen den Söhnen („etwas vngeleich") sich entspinnende Streit erinnert lebhaft an den Streit der drei Lasterhaften in Nr. 5, nur daß der Richter hier durch den Vater ersetzt ist. Ganz wie in Nr. 5, sind die Beweismittel, welche der Karg und der Mildt gegen einander zu Felde führen, aus allen mög. liehen Autoren und in der Mehrzahl aus denselben wie dort gezogen. Sachs, der eine fertige Dichtung für dieses Stück gewiß nicht gehabt hat, benützte aus Ey bes „Spiegelder sitten", „Von der todsünd geyti- kait" (Blatt XIII— XV) und „Von der tugent miltigkait" (Blatt XV— XVII); Plutar ch-Herr „guter Sitten einvndzwentzig Bücher" (1535, Straß bürg), „Von überiger begyrd der Reichthumb"; ferner manche Stellen aus Plutarch-Epp endorff, der Bibel, Pauli, Frey- dan ck u. a. m.

8. Der Fürwitz. Diese Dichtung ähnelt in der Idee Nr. 6. Die Person des mah- nenden Vaters ist eine Reminiscenz von Nr. 2 her durch den

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A. L. STIEFEL

getreuen Eckhart, und der Narr durch die allegorische Figur des „Fürwitz (= petulantia, Sachs schreibt V. 53 „Bethulancia") ersetzt. Ob Hans Sachs eine bestimmte Quelle hatte, oder das allegorische Spiel selbständig erdichtete, habe ich noch nicht mit Sicherheit er- mitteln können.

9. Die sechs klagenden und 13. Die fünf elenden wandrer.

Diese beiden verwandten Spiele, zu denen noch der von Goedeke abgedruckte Meistergesang von 1536 „Die neun eilenden wanderer" und ein Spruchgedicht (o. Dat.) ganz gleichen Titels kommen, scheinen mir durch Rosenblüts Gedicht ähnlichen Inhalts vDie XV clageu, wovon Keller (Fastnachtsp. III, p. 1111) einige Strophen abdruckte, veranlaßt worden zu sein.

10. Die Rockenstuben.

Wenn der Dichter vielleicht auch hier von H. Folzens Ge- dichten „von einem wirzknecht vnd der haußmagd" und ^von eine)' fraicen vnd ir maid, wie sie mit einander kriegen11 Anregung erhalten (s. oben Nr. 4), so deutet doch die originelle Idee, durch einen „Zigeiner" allen vieren die Wahrheit sagen zu lassen, wobei der eben Schaden- frohe seinerseits gedemüthigt wird, auf eine noch unbekannte andere Quelle hin. Über Rockenstuben s. Wendeler in Schnorrs Archiv VII, 332 ff.

11. Das Narren schneyden. 12. Das pachenholen im deutschen hoff.

Die Quellen dieser beiden Spiele haben sich hartnäckig allen meinen Nachforschungen entzogen. Sollte hier der Dichter aus „täg- licher erfarung" (Vorrede zum II. Theil seiner Gedichte) geschöpft haben? Für das letztere Stück scheint es mir wahrscheinlich, für das andere dagegen nicht. B.'s Narrenschiff war hier jedenfalls von Einfluß.

14. Der heuchle r vnd war freund.

Die Quelle dieses Spiels ist vielleicht Plutarchs Schrift: üäg &v rig öiuy.QivEU xov xolaxcc xov cpiAov, welche bereits 1520 von Spala- tinus nach dem Lateinischen des Erasmus, und 1535 von Michael Herr in „Plutarchi von Cheronea guter Sitten einvndzioentzig Bücher" als die fünfte Piece „verteutscht" worden ist.

15. Das Krapfenholen.

Hier scheint mir der Dichter keine andere Quelle als das Leben gehabt zu haben.

:

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ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN.

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16. Der schwanger Pawer.

Der Stoff, auch als Meistergesang und Schwank (alle 1544) bearbeitet, ist Boccaccios „Cento Novelle"*) IX, 3 entlehnt. Es ist der dem Calandrin von seinen lustigen Gefährten gespielte Streich. Aber während Sachs in den beiden letzten Dichtungen die Namen bei- behielt, hat er sie im Spiele alle geändert und aus den Künstlern Bauern gemacht. Weggelassen hat er die Magd und Calandrinos (Karges oder Kargas) Frau. Viele Stellen sind wörtlich benutzt. Die Lehren am Schlüsse sind Sachsens Eigenthum.

17. Die laster Artzney.

Schwerlich hat Sachs die diesem Stücke zu Grunde liegende Idee, so einfach sie auch ist, selbst erdacht; es lag ihm wohl eine zur Zeit noch unbekannte ältere Dichtung vor.

18. Der Teüffel mit dem alten Weyb.

Bei der ungeheueren Verbreitung dieses Stoffes gerade in älterer Zeit und bei seinem Vorkommen in fast allen mittelalterlichen Predigt- büchern 2) ist es leicht möglich, daß Sachs mündlich etwa bei einer Predigt dazu gekommen ist. Ob es also wohl zu einem Ziele führt, die Nachforschungen darnach fortzusetzen? Ich habe viel Zeit nutzlos damit verloren. Erwähnt sei übrigens, daß die Fabel auch in einem Fastnachtspiel, aber erheblich abweichend von Hans Sachs be- handelt ist. Es ist das 57. bei Keller (II, 497 511) abgedruckte Spiel.

H. Sachs selbst bietet in einer späteren Behandlung des Stoffes, in dem am 30. März 1546 geschriebenen Meistergesang gleichen Titels, einige erhebliche Abweichungen. So findet sich darin die im Spiele fehlende Idee von dem Messer, das die Frau unter dem Bette ver- birgt; ferner tödtet der Mann sein Weib mit eben diesem Messer, während in dem Spiele sich beide nur „vbel schlugen". Er kannte also wohl zwei Versionen.

Zusätze des Meisters, und zwar recht glückliche, sind der Traum des Mannes von dem ihm bevorstehenden Unglück, der sich als Werk

') D. b. die bisher meist Steinhöwel zugeschriebene deutsche Über- setzung von 1472. Die Autorschaft Steinhöwels, bereits von K. Schröder und W. Scherer angezweifelt, darf nach H. Wunderlichs gründlicher Untersuchung (Herrigs Archiv Bd. 83, S. 167 210 u. Bd. 84, S. 281—290) wohl als definitiv be- seitigt angesehen werden. Im Folgenden bezeichnet Bocc. Dec. oder Cento Nov- stets diese vou Sachs so ausgiebig benützte deutsche Übersetzung. Die Dissertation von Mac Median „The Relation of E. Sachs to the Decameron* (Halif. 1889) blieb mir unerreichbar.

l) Über Verbreitung des Stoffes s. Oesterley zu Kirchhofs Wendunmuth V '. p. 60.

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getreuen Eckhart, und der Narr durch die allegorische Figur des „Fürwitz (= petulantia, Sachs schreibt V. 53 „Bethulancia") ersetzt. Ob Hans Sachs eine bestimmte Quelle hatte, oder das allegorische Spiel selbständig erdichtete, habe ich noch nicht mit Sicherheit er- mitteln können.

9. Die sechs klagenden und 13. Die fünf elenden wandrer.

Diese beiden verwandten Spiele, zu denen noch der von Goedeke abgedruckte Meistergesang von 1536 „Die neun eilenden wanderer" und ein Spruchgedicht (o. Dat.) ganz gleichen Titels kommen, scheinen mir durch Rosenblüts Gedicht ähnlichen Inhalts „Die XV clageu, wovon Keller (Fastnachtsp. III, p. 1111) einige Strophen abdruckte, veranlaßt worden zu sein.

10. Die Rockenstuben.

Wenn der Dichter vielleicht auch hier von H. Folzens Ge- dichten „von einem tvirzknecht vnd der haußmagd" und „von einer fraicen vnd ir maid, icie sie mit einander kriegen" Anregung erhalten (s. oben Nr. 4), so deutet doch die originelle Idee, durch einen „Zigeiner" allen vieren die Wahrheit sagen zu lassen, wobei der eben Schaden- frohe seinerseits gedemüthigt wird , auf eine noch unbekannte andere Quelle hin. Über Rockenstuben s. Wendeler in Schnorrs Archiv VII, 332 ff.

11. Das Narren schneyden. 12. Das pachenholen im deutschen hoff.

Die Quellen dieser beiden Spiele haben sich hartnäckig allen meinen Nachforschungen entzogen. Sollte hier der Dichter aus „täg- licher erfarung" (Vorrede zum II. Theil seiner Gedichte) geschöpft haben? Für das letztere Stück scheint es mir wahrscheinlich, für das andere dagegen nicht. B.'s Narrenschiff war hier jedenfalls von Einfluß.

14. Der heuchle r vnd war freund.

Die Quelle dieses Spiels ist vielleicht Plutarchs Schrift: Iläg äv rig diay.givets zov xöXaxa xov (piXov, welche bereits 1520 von Spala- tinus nach dem Lateinischen des Erasmus, und 1535 von Michael Herr in „Plutarchi von Cheronea guter Sitten einvndzwmtzig Bücher" als die fünfte Piece „verteutscht" worden ist.

15. Das Krapfenholen.

Hier scheint mir der Dichter keine andere Quelle als das Leben gehabt zu haben.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. \\

16. Der schwanger Pawer.

Der Stoff, auch als Meistergesang und Schwank (alle 1544) bearbeitet, ist Boccaccios ,,Cento Novelle"1) IX, 3 entlehnt. Es ist der dem Calandrin von seinen lustigen Gefährten gespielte Streich. Aber während Sachs in den beiden letzten Dichtungen die Namen bei- behielt, hat er sie im Spiele alle geändert und aus den Künstlern Bauern gemacht. Weggelassen hat er die Magd und Calandrinos (Karges oder Kargas) Frau. Viele Stellen sind wörtlich benutzt. Die Lehren am Schlüsse sind Sachsens Eigenthum.

17. Die laster Artzney.

Schwerlich hat Sachs die diesem Stücke zu Grunde liegende Idee, so einfach sie auch ist, selbst erdacht; es lag ihm wohl eine zur Zeit noch unbekannte ältere Dichtung vor.

18. Der Teüffel mit dem alten Weyb.

Bei der ungeheueren Verbreitung dieses Stoffes gerade in älterer Zeit und bei seinem Vorkommen in fast allen mittelalterlichen Predigt- büchern 2) ist es leicht möglich, daß Sachs mündlich etwa bei einer Predigt dazu gekommen ist. Ob es also wohl zu einem Ziele führt, die Nachforschungen darnach fortzusetzen? Ich habe viel Zeit nutzlos damit verloren. Erwähnt sei übrigens, daß die Fabel auch in einem Fastnachtspiel, aber erheblich abweichend von Hans Sachs be- handelt ist. Es ist das 57. bei Keller (II, 497 511) abgedruckte Spiel.

H. Sachs selbst bietet in einer späteren Behandlung des Stoffes, in dem am 30. März 1546 geschriebenen Meistergesang gleichen Titels, einige erhebliche Abweichungen. So findet sich darin die im Spiele fehlende Idee von dem Messer, das die Frau unter dem Bette ver- birgt; ferner tödtet der Mann sein Weib mit eben diesem Messer, während in dem Spiele sich beide nur „vbel schlugen". Er kannte also wohl zwei Versionen.

Zusätze des Meisters, und zwar recht glückliche, sind der Traum des Mannes von dem ihm bevorstehenden Unglück, der sich als Werk

1) D. h. die bisher meist Steinhöwel zugeschriebene deutsche Über- setzung von 1472. Die Autorschaft Steinhöwels, bereits von K. Schröder und W. Sc her er angezweifelt, darf nach H. Wunderlichs gründlicher Untersuchung (Herrigs Archiv Bd. 83, S. 167 210 u. Bd. 84, S. 281—290) wohl als definitiv be- seitigt angesehen werden. Im Folgenden bezeichnet Bocc. Dec. oder Cento Nov- stets diese von Sachs so ausgiebig benützte deutsche Übersetzung. Die Dissertation von Mac Median »The Relation of E. Sachs to the Decameron" (Halif. 1889) blieb mir unerreichbar.

J) Über Verbreitung des Stoffes s. Oesterley zu Kirchhofs Wendunmuth V. p. 60.

12 A. L. STIEFEL

des Teufels herausstellt (V. 69), überhaupt die Anfangsscene zwischen Mann und Frau und endlich der Schluß.

19. Der kauffmann mit den alten w eibern.

Als Quelle dieses seltsamen Stückes möchte ich Pauli „Schinipf und Ernst" Nr. 522 (Oesterleys ') Ausg. p. 300) betrachten. In dieser Erzählung „Wie sant Johans segen vff izt kurnen" ruft ein „reicher man", welcher „zuo armen tagen kumen vnd verdarb, als manchem geschieht" „den tüffelu. „Vnd da der tüffel kam, da wurden sie der sach eins mit einander, das im der tüffel XII iar lang geltz gnüg solt geben, vnd an dem letsten tag so solt er sich an das ort stellen, so wolt er leib vnd seel nemen, vnd sagt im, wau er gelt wolt haben, so solt er vnder dem holderstuden in seinem garten graben, da würd er geltz gnüg finden. Der verdorben man fieng wider an ein herlich stat zufüren etc." Nach Umlauf der Zeit nimmt der Mann von seinen „fründ" Abschied. Seine Tochter weiß ihm das Geheimniß zu entlocken, und da St. Johannes der Evangelist ihr Schutzpatron ist, so läßt sie den Vater „in des namen vnd eer ein trunck" thun. Der Teufel kann ihm nun nichts mehr anhaben, doch schleift er ihn aus Rache „durch alle hecken vnd zerzert im sein angesicht gar vnd liesz in darnach halber dot ligen".

Am 18. October 1549 hatte Sachs den Gegenstand getreu nach Pauli als Meistergesang mit dem Titel „Ursprung St. Johannis segen" behandelt (siehe Goedeke Tittraann, H. Sachs I, p. 287 289). Der Stoff mochte ihm, so wie er war, für ein Fastnachtspiel nicht wirksam genug erscheinen. Die Rache des Teufels an dem armen Manu war zu tragisch. Der Volkshumor verlangte, daß der Böse voll und ganz als der Geprellte wegkam. Wie half sich der Meister? In seinem letzten Fastnachtspiele, „der Teuffei mit dem alten Weyb", hatte er vier Jahre zuvor dem volksthümlichen Haß gegen alte Weiber in beißendster Weise Ausdruck verliehen. Das Stück hatte gewiß Erfolg gehabt. Im nächsten Jahre war er in einem Meistergesang (s. Goedeke, H. Sachs I, p. 195) auf das Thema zurückgekommen. Die Gelegenheit,

1 Oesterley hat zu der Erzählung keine Nachweise gegeben ; ich will daher die Lücke einigermaßen ausfüllen. J. W. Wolf hat in den r Niederländischen Sagen11 'Leipzig 1843) Nr. 359 unter dem Titel „Sankt Gertruden-Minne" eine Sage, wie der Teufel ebenfalls durch einen Trunk zu Ehren St. Johannis um die Seele eines Ritters kommt. Wolf bezeichnet als Quellen Willem van Hil degaerdsber gh (1356) in Clipnetts Bydragen und de Reiffenbe ig, Nouv. arek. histor. 1827. Vergl. noch Wolf (ibid. p. 698/99) und v. d. Hagen, Gesammtaberit. II, p. XL. Noch größer ist die Ähnlichkeit mit Nr. 358 .Ritter Riddert" bei Wolf, woselbst G. a Ryckel, Hist. S. Gertrudis als Quelle genannt ist.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 13

wiederum Teufel und alte Weiber zusammen zu bringen, war für den Schalk zu verführerisch, und so kam ihm hier die Idee, den Teufel durch das, was er am meisten fürchtete, aus dem Felde schlagen zu lassen. Daher wurde aus dem „reichen Bürger" (des Meistergesangs vom 18. October 1549) ein „kauffmann", der dem Bösen die Seele unter der Bedingung verschreibt, daß er „an aller war gewinn"; ein Freund (amice) gibt ihm den Rath, zwei alte Weiber als unverkäufliche Waare zu erwerben, „womit dem dewffel magst entlawffen". Der Anschlag gelingt. Dem Teufel graust es selbst vor der ..verpafFelt war". Wie in dem früheren Fastnachtspiel und in dem darnach gedichteten Meistergesang, so sagt er auch hier:

Solch alter poser weiber drey 1)

Fingen im feld den deuffel frey. Daher gibt er den Kaufmann „quit ledig". Die alten Weiber laufen dem Sohn der Hölle nach und rufen:

So wer dich vnsr dw loser dewffel ! So sagt auch in Nr. 18 „die alt" zu dem Bösen:

So wer dich mein vnd sey nit faul. Daß Sachs in Nebendingen, wie z. B. daß der Pakt nur zehn, statt zwölf Jahre läuft, daß der Teufel gleich einen Geldsack abgibt, von Pauly abwich, hat nichts Auffallendes. Ein ähnliches Verfahren sehen wir ihn oft seinen Quellen gegenüber beobachten. Schließlich sei noch erwähnt, daß der Nürnberger den Stoff des Spiels auch in einem Meistergesang (abgedruckt bei Götz IV, S. 75), angeblich von 1559 (1549?), behandelte. In letzterem ist alles kürzer. Eine Abweichung ist ferner, daß der Kaufmann drei Weiber um 300 fL, dagegen im Spiele nur zwei um „7 daler" erwirbt.

20. Der nassentanz. Sollte Sachs für dieses Stück das Vasnachtspiel der alt Hannen - tanz" (Keller Nr. 67, II, 580) als Vorbild gehabt haben? In diesem werden als Preis des besten Tanzes ein „han" und „ain pruch darneben", bei Sachs „ein nasen fueter pruech vnd kränz" beim „nasen tanz" ausgesetzt2). Bauern sind in beiden die Bewerber, und sie gerathen hier und dort in Streit und Hader, so daß ein Vor-

') Fastnachtspiel 18. Vers, 248/49: Meistergesang:

Denn solcher alter Weyber drey Wann solcher böser Weiber drei

Fingen im Feld den Teiiffel frey. fingen im feit den teufel frei.

') In dem Schwank (von 1534), der den gleichen Stoff behandelt (H. Sachs I. Th. Fol. 530), geht der Dichter geradezu von einem Hahnentanz aus: kam zu einem Hannentantz" (Vers 13).

14 A. L. STIEFEL

gesetzter (Richter, bezw. Schultheiß) Ruhe gebietet und bei beiden Autoren fast mit denselben Worten. Im alten Spiel sagt der Richter:

Ir herrn, ich peut euch allen frid

Bei der hant und pei der wid

Daßselb ich euch pei geschworn aid peut

Und das eur keiner schelt, slag! Darnach euch rieht

Wer pei meinem bot pleibt nicht

Dem will ich nemen, was er bot etc. Bei H. Sachs sagt der Schultheiß (V. 309—312):

Ir pawrn, ich pewt euch allen frid

Per dem gelt vnd dem höchsten glied!

Zwckt ainer oder thuet sich regen

So wil'n paim aid in halseissn legen. Die Idee, den längsten Nasen Preise zuzuerkennen, wäre dann die Erfindung des biederen Schuhmachers.

21. Der gestolen Fasnacht hon.

Die lebenswahre Fabel dürfte kaum einer gedruckten Quelle entnommen, vielmehr direct aus dem Leben geschöpft sein. Manches erinnert indeß an frühere Dichtungen des Meisters, so z. B. das Befragen des „Warsagers" wegen des entwendeten Gutes an vHennoa.

22. Der farendt Schuler im Paradeiß.

Die Quellen, aufweiche schon Goetze (H.Sachs, Fasnachtsp. II, p. X/XI) verwiesen hat, sind Paulis Schimpf und Ernst, Nr. 463 (Oesterleys Ausgabe p. 274) und für den Anfang Bebeis Facetiae, (1. h. das lateinische Original, und nicht wie Goetze (1. c.) zu glauben scheint, die deutsche Übersetzung „die Geschioenck Henrici Bebelii", die erst 1558 zum ersten Mal erschienen, während das Fastnacht- spiel bereits 1550 verfaßt worden. Wir haben also hier eine Contami- nation zweier verwandter Fabeln wie sie H. S. oft vornahm. Bei Pauli ist dem einfältigen Weib der Sohn gestorben, und sie sagt zu dem Studenten: „Ich sihe das ir ein farner schüler sein, vnd mein sun ist in ein ander weit gefaren, haben ir in nit ge- sehen, ir faren weit hin vnd her". Bei Bebel ist der Frau (anus quaedam), der Mann ,.paucis ante diebus" gestorben, und der Student sagt ihr auf Befragen, er reise nach Paris, was die Alte für Paradies mißversteht und ihn deshalb bittet „vt vestes argentum & alia quaedam illi portare dignaretur". Von einem zweiten Mann der „vetula" ist nicht die Rede, und so fehlt natürlich auch der Schluß, wie der dem Studenten nacheilende Ehemann betrogen wird. Sachs, der in der Hauptsache Pauli folgte, mußte der Frau einen zweiten Mann

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 15

geben; er ließ daher den ersten nicht „paucis ante diebus", sondern „vast vor einem ganzen Jar" sterben. Der Nürnberger machte ferner aus dem Ehepaar, die bei Pauli bessere Bürger sind, Bauersleute. Obwohl H. Sachs, wie erwähnt, in der Einleitung Bebel folgt, so hat er doch auch dabei von Paulis oben angeführter Einkleidung Gebrauch gemacht. Der Schüler sagt (H. Sachs, Vers 24 25):

Wiß, ich bin ein farender Schüler

Vnd fahr im Lande her vnd hin und die Frau bemerkt in ihrer Antwort u. a. (Vers 31 ff.):

Habt jr mein Mann nicht drin gesehen ?

Ich hoff je, er sey drein gefaren. Spätere Bearbeitungen beruhen zum Theil, oder, wie die im Rollwagen- büchlein, Ausg. 1590 (Kurz, Nr. 107), ganz auf H. Sachs.

23. Der jung Kauffmann Nicola mit seiner Sophia. Als Quelle dieses trefflichen Fastnachtspieles hat schon 1818

F. W. V. Schmidt in den Beiträgen zur Geschichte der rorna iltischen Poesie Boccaccios Decamerone VIII, 10 bezeichnet. Sachs benützte, wie immer, die Steinhöwel zugeschriebene Übersetzung. Der Dichter ver- fuhr in diesem zweiten Spiel schon freier wie in dem ersten (s. o. Nr. 16) aus der gleichen Quelle. Den ganzen Anfang der lang ausgesponnenen Novelle ließ er weg. Mit wenigen Versen führt uns der junge Kauf- mann in medias res. Mit dramatischem Verständniß läßt ihn H. S., abweichend von Boccaccio, gleich Anfangs durch Chanigiano (Cani- giano) vor dem trügerischen Frauenzimmer warnen. Die Figur der Magd (Metz) hat Sachs, um der Handlung mehr Bewegung zu geben, hinzugeschaffen. Übrigens hat er den Ort der Handlung und die Namen (ausgenommen den der Buhlerin, die er Sophia statt Jancofiore nennt) und die einzelnen Umstände der Fabel beibehalten und auch sehr häufig seine Quelle wörtlich benützt.

24. Fraw warheyt will niemandt herbergen. Gewöhnlich wird Pauli, Nr. 3, als Quelle angegeben, ein Stoff,

den H. Sachs in einem „gesprech eines abenteurers etc." v. 1. Sept. 1554 ziemlich getreu behandelte. Wenn jene Erzählung Paulis wirklich des Nürnbergers Quelle war, so muß man gestehen, daß er ungemein frei damit verfuhr und aus einer Anekdote ein sinnreiches allegorisches Spiel verfaßte. Jedenfalls übte dann auf die Gestaltung desselben auch Paulis, Nr. 4, „Es kamen vff ein mal fier junckfrawen zusammen etc." Einfluß. Die vier waren nämlich Feuer, Wasser, Luft und „die rierd hieß (Veritas) Warheit". Jede gibt ihre Wohnstätte an, nur die

16 A. L. STIEFEL

Wahrheit vermag es nicht. Sie ruft leider hab ich kein eigen

hausz, niemans wil mich beherbergen, ich bin von iederman verhasset". Außerdem hat vielleicht das latein. Original zu dem in Weilers Ann. II, p. 239 angeführten „gespräche von einem waldtmann etc.", ohne Zweifel die Quelle zu S.'s Spruchgedicht „die unterdr. Fr. Warheit" (Keller, H. S. III, p. 311), auch auf dieses Spiel eingewirkt. 25. Der Pawr mit dem Kuedieb. Das Spiel ist ziemlich getreu mit vielen sprachlichen Berührungen aus Paulis „Schimpf und Ernst" (Straßburger Ausgabe von 1533> Nr. 352; Oesterleys Ausgabe p. 401 403) entlehnt. Nachweise über Verbreitung des Stoffes hat Oesterley S. 553 gegeben.

Der Anfang des Stückes Scene zwischen Bauer und Tochter ferner die Scene zwischen dem Bauer und Bettelwirth und endlich der Schluß von V. 294 an sind Zusätze des Meisters '), der auch sonst noch in Kleinigkeiten von seinem Vorbild abwich und die Fabel um einige gute Züge bereicherte. So motiviert Sachs das Einkaufen der „braten Hüner" und sein Zusatz des Weines, damit, daß der Bettelwirth gleichfalls seine Schöpfung nur schlechtes Bier und schlechte Kost verabreicht, die zu dem beabsichtigten flotten Essen nicht genügen ; ferner unterschlägt der Bauer beim Kuhverkauf einen Thaler, und der Bettelwirth steckt mit Spitzbuben und Dieben unter einer Decke. Wenn sie daher geprellt werden, so erscheint dies als verdiente Züchtigung. Der Dialog ist im Ganzen recht selbständig gehalten.

Ob H. Sachs das von Keller (Fastnachtsp. III, p. 1214 u. 1248) erwähnte Gedicht von H. Folz „Von einem kwdieb" benützte, kann ich nicht sagen, da mir dasselbe nicht erreichbar war. Nach den wenigen dort mitgetheilten Versen zu schließen, weicht es von Pauli und Sachs wesentlich ab, indem das Weib des Bauern bei ihm eine gewisse Rolle zu spielen scheint.

26. Von Joseph vnd Melisso.

Den Stoff dieses Stückes hat H. S., wie bereits längst bekannt5) ist, aus Boccaccio Decam. IX, 9 entlehnt. Die Veränderungen, die er damit vornahm, sind größer als in den beiden früheren nach derselben Quelle gearbeiteten Fastnachtspielen und können durchaus

') In dem am ll. December 1557 verfaßten Schwank gleichen Namens hielt sich Sachs in manchen Einzelheiten mehr an Pauly, vieles nahm er aus dem Spiele herüber, und die Scene verlegte er nach Ingolstadt und dem Dorfe Wintersbach.

5) F. W. V. Schmidt, Beiträge zur Geschichte der romantischen Poesie (Berlin 1818), p. '.»9.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 17

nicht als Verbesserungen angesehen werden. Joseph und Melisso kennen sich bei H. S. schon, während sie bei Boccaccio zufällig unterwegs zusammentreffen. Die Schilderung des bösen Weibes zu Anfang des Stückes ist des Nürnbergers Zutliat. Endlich brachte der Name des weisen Salomon den ehrsamen Meister auf die volkstüm- liche, beliebte Caricatur Markolf. Wo der weise König auftritt, da durfte sein Schatten, der widerliche unflätige Narr, nicht fehlen1). Sachs benutzte, wie die vielen wörtlichen Übereinstimmungen beweisen, das Volksbuch „Frag und antwort Salomons und marcolfi" in irgend einer der alten Ausgaben. Unmöglich wäre es aber nicht, daß er auch das (bei Keller Fastnachtsp. II, p. 523 540, abgedruckte) nSpil von König Salomon und Markolf oa das Hans Folz zum Verfasser haben soll, und das ganz auf dem alten Volksbuch beruht, gekannt und benutzt hat. Nach dem erhaltenen kurzen Bescheid gehen die beiden Burger weg, kommen wieder und lassen sich die Sprüche vom Könige erklären ; hierin weicht H. S. ungeschickterweise von Bocc. ab, wo sie selbst auf den richtigen Sinn verfallen. Merkwürdig ist es, daß sich H. S. die bei Boccaccio so dramatisch ausgeführte Zähmung der Wider- spenstigen entgehen ließ.

27. Das Wildbad.

Der Stoff, schon am 20. Jänner 1537 als Meistergesang behandelt, ist, wie Goedeke bereits gefunden hat, Boccaccio Dec. X, 2 ent- nommen. Mit großem Geschick hat der Dichter die Fabel dem 16. Jahr- hundert angepaßt. Die lebenswahren Figuren des deutschen Edelmannes und seiner „Reisigen Knechte" Schrammfritz und Wursthans, sowie des Heintz, Dieners des Abts von Klingen (diesen Namen Cligny, ent- lehnte Sachs der Boccaccio- Übersetzung), sind Schöpfungen des Nürn- berger Meisters, der sich dieses Mal im Ausdruck weniger an sein Original hielt. Der derbe, kräftige Dialog ist wahrhaft meisterlich.

28. Der böß Rauch.

Die Quelle ist ein Gedicht von Hans Folz (abgedruckt bei Keller "Fastnachtspiele III, p. 1278 1282) vEin liet genant der poß rauchu. Der Verlauf des Spiels ist ganz wie in dem „liet". Die Frau ringt mit dem Mann um die Herrschaft des Hauses, symbolisiert durch die als Kampfpreis ausgesetzten Hosen (Bruch). Sie siegt und zer- bläut den Ehemann, sowie auch den ihm zu Hilfe eilenden Nachbar. Bei Sachs findet sich nur noch der Zusatz, daß der Mann außer der

') Auch in der „Comedia, Das Gericht Salomonis" vom 6. März 1550 (II. Th. f. 24) tritt Markolf auf.

GERMANIA. Nene Reihe XXIV. (XXXVI.) Jahrg. 2

18

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„Bruch" auch „Taschen vnd Messer" abtreten und sogar der Frau eigenhändig „vmb gurten" muß. Abweichend von Folz ist es bei Sachs der Nachbar, der dem Mann den Kampf anräth. Dies ist aber keine Verbesserung, da die Frage des Nachbars später, was ihm (dem Geschlagenen) fehle, nicht mehr recht motiviert ist. Sprachlich berühren sich beide Dichtungen mehrfach, z. B. :

Folz. Sachs, V. 103:

Czwen prugel er zu richtet drot Seh weyb ! zwen gleich Brügel wir

Der frawen er den einen pot. hart.

Welchen du wilt, den nime an.

Sie sprach ich mein du harrest noch Auff sant iohannes segen.

fiundt wie bistu so naß Vnd weß weynstu so sere Er antwort im do print mein hauß Dar in ich so durch gössen pin Czu lesttz treib mich der rauch her auß.

V. 181 So will ich jm gleich noch verwegen Auch geben Sanct Johannes Segen.

V. 145: wie sitzt du allein So trawrig hie auff deinem stein ? Wie tropffst vnd bist so gar trieff nas ?

VI.

Der mich so hart gepissen hat.

Der man :

Ach mein Schlat der fing an zu brinnen.

Da hab ich lang gerettet innen

Vnd ward also durch netzet auch,

Biß mich zu letzt doch der böß Rauch

Gar hat auß meinem Hauß gebissen.

Über die Verbreitung des allzeit volkstümlichen Stoffes, der sich bis in unsere Tage im Sprichwort und auf Jahrmarktsbildern erhalten hat, siehe F. H. von der Hagen Gesammtabent. I, p. LXXXII ff.1). Merkwürdig ist es, daß gerade die echt deutschen Versionen mit dem Siege der Frau endigen.

29. Die drey Studenten. Dieses Spiel hat sich nicht erhalten, und so läßt sich natürlich auch nichts von seiner Quelle sagen. Vielleicht war diese Hans Fol z' 1480 gedrucktes Gedicht „Von der puolschaft dreier Studenten"2).

*) Über den Titel des Spiels bemerkt v. d. Hagen (p. LXXXIX Anm.) richtig: ^Die Benennung „der bös Rauch" deutet sich durch das Sprichwort, daß drei Dinge; ein durchregnendes Dach, ein rauchendes Zimmer und ein böses Weib unerträglich im Hause sind. Vgl. Minnes. III, 323."

2) Ch. Schweitzer (Etüde aur la Vie et les Oeuvres de H. Sachs) druckt (p. 441) einen Meistergesang „Die Drey schalkhaftigen Studenten" ab und behauptet was E. Götze (III, p. XII; mit Recht unentschieden gelassen hatte daß das Fastnacht- spiel mit dem Meistergesang gleichen Inhalts war. So lauge das Spiel nicht auf- gefunden ist, kann man höchstens Vermuthungen aussprechen.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SÄCHSISCHEN DRAMEN. 19

30. Der got Appollo mit Fabio.

Die Quelle dieses, auch als Gespräch später (1558) behandelten Stoffes habe ich leider nicht gefunden.

31. Der halb Freundt.

Die gleiche Fabel hat H. Sachs schon früher in einem Meister- gesang „Der halb gut Freunt" behandelt und als Quelle Adel phon- sus genannt, was Goedeke (Dicht, d. H. Sachs I, p. 249, s. auch Goed. Everyman) richtig auf Petrus Alphonsus deutete. In der That ist eine Erzählung Petri Alphon si, die Steinhöwel in seinem Aesop „ex Adelfonso" übersetzte, als des Meisters Quelle zu betrachten. Der Name Lucianus, im Meistergesang Lucania, (bei Steinhöwel Luciana) , und zahlreiche sprachliche Berührungen stellen es außer Zweifel. So lesen wir bei

Steinhöwel (ed. Oesterley p. 297): Sachs, V. 93:

hab hart ain halben fründ Hab doch nit mehr auß aller summen über kommen. Ein halben Freundt nur vberkommen.

V. 104: Du solt kainen für ain fründ haben Mein Son, hast du dein Freund bewert. ee du in bewärest.

V. 126:

Erstiche ain kalb, zer howe das und Stich ein Kalb heint zu Abendt spat

tuo das in ainen sak ; denselben Vnd mach sehr bluttig einen Sack!

mach ußwendig schwaißig und nim Faß das Kalb drinn auff deinen nack

in dann uff dynen ruken und bring Vnd such mit deine Freunde heim, in ainem etc.

Von der Erzählung des Alphonsus ist übrigens nur der erste Theil verwendet, der zweite Theil (Egipten und Baldach) blieb weg. Neben dieser Quelle ist die bereits oben erwähnte Schrift PI utarchs (s. o. Nr. 14) auch noch von Einfluß gewesen, wie denn unser Stück mit Nr. 14 in der Idee und in Einzelheiten Ähnlichkeiten aufweist.

32. Der vnersetlich Geitzhunger. Die Quelle dieses Stückes ist die aus P. Alphonsus entlehnte Erzählung in Steinhöwels Aesop (ed. Oesterley p. 303/4): „Von gelt in trüwe band gelegt böslist mit kluoghait für ze komen." Sachs ging allerdings sehr selbständig zu Werke. Nur die Umrisse der Fabel behielt er bei; die Einkleidung, der Dialog, die Charaktere, die Namen und viele Nebenumstände sind fast ganz sein Eigenthum. Ein glück- licher Zusatz Sachsens ist des Betrügers (Reichenburger) Frau, die den ohnehin zum Schlechten geneigten Mann zur bösen That anspornt. Die Verwandlung des alten, den guten Rath ertheüenden Weibes in

2*

20 A. L. STIEFEL

den Freund Sapiens erklärt sich leicht aus dem Hasse, den Sachs in seinen Dichtungen so häufig gegen alte Weiber an den Tag legte.

Auch sprachliche Berührungen mit der Quelle, jedoch nur wenige, ergeben sich. Ich führe eine an :

Steinhöwel: Sachs, V. 188:

ward sie bewegt durch er- Trawriger sah ich dich vor nie bermd ze fragen, was im laides wäre Ist dir was vnfals zugestanden? zuo gestanden dar umb er so ser truret.

33. Der podenlos pfaffensack.

Das Stück scheint verloren zu sein. Inhaltlich stimmte es wohl mit S.'s Meistergesang gleichen Titels (s. Goetze III, p. XIV und dem Schwank vDer Bawer mit dem Bodenlosen Sacka überein. Auf die Quelle, die ich irgendwo gelesen habe, kann ich nicht mehr kommen.

34. Das Kelberbruten.

Dieser Stoff, später auch von Sachs als Schwank in ganz ähnlicher Weise verarbeitet, beruht auf einem viel verbreiteten Narrenstreich, der u. a. Claus Narr zugeschrieben wird. In Bebeis Facetiarum lib. I. bildet er einen Theil der Erzählung „de fatuo rustico" J). Ob Sachs einer mündlichen Quelle oder einer gedruckten Vorlage folgte, ist mir nicht aufzuhellen gelungen. Einiges rührt gewiß von ihm her, so die Verwandlung des Sohnes der Bäuerin in den Mann, die Figur des Pfaffen, der Beschwörungsact u. s. w.

35. Die späch Bulerey.

In A. v. Kellers „Gedichten aus altdeutschen Handschriften" (S. 150 160) findet sich ein größeres Gedicht, das denselben Gegen- stand behandelt. Es ist betitelt „Die wehen Pullerey". Die Fabel ist genau dieselbe und weicht nur in Einzelheiten ab. Im Gedicht wird die Probe mit drei Freiern, bei H. S. nur mit zweien angestellt, was jedenfalls eine Vereinfachung, und daher, dramatisch betrachtet, eiue Verbesserung ist. Im Gedicht wird der eine Ritter nach England, der zweite nach Preußen, der dritte über Meer geschickt; bei Sachs der eine „vber Meer ins heilig Landt", der andere auf eine „Ach fart". Obwohl sich nur wenige sprachliche Berührungen zwischen beiden Dichtungen finden, so bleibt es doch wahrscheinlich, daß H. S. das

') Außer den Genannten erwähne ich noch: Morlini 49, Basile, Penta- merone G. 1, C. 4, Melander I, 335, Frey, Gartengesellech. 1, Grimm, Kinder- märchen III, 104, Wilhelmi, Kyau's Leben S. 178—184.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 21

Gedicht benützt hat. Pflegt er doch, wenn sein Vorbild versificiert ist, wörtliche Übereinstimmungen gerne zu vermeiden (s. auch Goetze VII. p. XIV).

36. Der Pawren Knecht wil zwo Frawen haben. Der Stoff ist schon in dem Fabliau ndu Vallet aux douze fames" (Barbazan-Meon III, p. 148 153; Legrand III, p. 379) behandelt1). Nach Legrand (1. c.) existieren fünf, wenn ich mich recht erinnere, vielfach von einander abweichende Manuscripte. Ich vermuthe, daß es von einem derselben, wie von vielen ähnlichen gallischen, eine ältere deutsche Bearbeitung gegeben hat, die Sachs als Quelle diente. Die ursprüngliche Fabel , welche Sachs erweiterte und vollkommen localisierte, läßt sich noch leicht von den Zusätzen des Meisters trennen. So sind z. B. sämmtliche Namen, die Rollen des „6 he im Fritz" des Contz Tötsch, verschiedene Scenen, wie die Braut- werbung, die Schilderung des Hochzeitessens etc. von Sachs hinzu- erfunden. Manche Umstände hat Sachs geändert, so will der Bursche statt 12 Frauen nur zwei; offenbar erschien jene Zahl dem Dichter zu übertrieben. Übrigens erscheint gewiß kein Zufall die Zahl 12 noch in der Bemerkung des Heiratscandidaten: „Hat vnser Han doch wol zwölff Hennen". Die Sinnesänderung des Burschen läßt der ehrbare Meister begreiflicherweise nicht durch das sinnliche Mittel des Fabliau, sondern durch „Trübsal, Sorg, Angst vnd weh" in der Ehe bewirken. Sonst ist die Übereinstimmung zwischen Sachs und dem Fabliau in vielen Stellen so auffallend, daß meine obige Annahme gewiß berechtigt erscheint. Mau vergleiche :

Sachs, V. 23: Fabliau, V. 10:

ich als ein Man Une m'en a si confondu

Mit einer kaum außkommen kan. Que je ne puis ne ho ne jo.

V. 73: V. 18:

Mit eim Weib, sod auffs Jar thust Taut que eis ans passez sera,

leben Se ne vous sert ä vo voloir,

So wol wir dir noch ein Weib geben. Je vous en ferai deux avoir.

V. 218 ff: Wir beyde haben V. 110 ff^- Den Wolf in der wolffsgruben gefangen on prist un leu en la pasture Der so viel Schadens hat begangen. Dedenz la vile eil manoit

Qui grant domage lor fesoit.

l) Wegen Verbreitung der Fabel verweise ich auf H. Kurz' Anmerkung zu B. Waldis' Esopus III, 16, O est erle ys Nachweis zuKirchhoffs Wendunmut 1, 73 und Legrand 1. c.

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Sachs, V. 218 ff.: Fabliau, V. 110 ff.:

Wir wölln Li uns le juge ä escorcier,

Li autres le juge a noier,

jn also lebendig schinden Et li tiers ä ardoir en cendre.

Darnach jn bey dem schwantz auff- Et li quars si le juge ä pendre.

hencken.

V. 125:

C lötsch: Donez li fame. je vos pri

So rath ich, das wir jn ertrencken -

vnd als denn Que miez nou pourrez-vous occire

In einem Backoffen verbrenn. Ne son cors livrer a martire.

V. 241: gebt jm ein Weib! Die wird wol peinigen sein Leib.

37. Der farendt Schuler mit dem Teuffei bannen.

Über die Verbreitung des Stoffes siehe v. d. Hagen, Gesammt- abenteuer (B. III, p. XXIX XXXV); Goedeke, Schwanke des 16. Jahrh. (p. 238 Anmerk.) ; Dunlop-Li e brecht p. 209 u. 486; H. Kurz in B. Waldis' Aesop (B. II, Lesearten p. 169/170). H. Sachs schöpfte (worauf auch, wie ich sehe, G o e t z e VII, p. XIV hinweist) aus einem Gedichte des Hans Rosenblüt: „Von einem varnden Schuler. In beiden Fabeln spielt die Handlung in einem Bauernhause, in beiden versteckt sich der Student im Hause selbst, und in beiden kommen Bäuerin und Pfaffe ziemlich glimpflich davon. Wenn sich daneben manche Abweichungen finden, so hat dies nichts Auffallendes; pflegt doch Sachs sich von seinen Vorbildern, wie wir bereits gesehen haben, oft sehr zu entfernen. Die Änderungen des jüngeren Dichters begreifen sich leicht, wenn man bedenkt, daß er ja die Erzählung in Handlung umzusetzen hatte. Außerdem lag ihm gewiß viel daran, nicht als Plagiator seines Vorgängers zu erscheinen und denselben nach allen Seiten hin zu übertreffen.

Ganz besonders beweiskräftig für die Nachahmung ist es noch, daß der Student hier und dort mit einem Schwerte einen Kreis zieht, den Pfaffen sich nackend ausziehen läßt, ihn einrußt, und brummend auf die Bühne bringt. Endlich finden sich auch einige, freilich spärliche, sprachliche Übereinstimmungen, so z. B.:

Rosenblüt: Sachs, V. 221:

Der pfaff der zog sich nachet ab Geh! zeuch dich mutter nacket ab

Er macht in schwartz als ein rab. Beruß dich kolschwartz wie ein Rab.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN.

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38. Das heiß Eisen. Das Spiel stimmt im ganzen Verlauf mit dem mittelhochdeutschen Gedicht „daz heize ?senu, das vonderHagen in den Gesammtabenteuern (II, p. 373 378) abdruckte, überein. Die wesentlichsten Abweichungen, bezw. Zusätze des Nürnbergers sind: 1. die Einführung einer dritten Person, der „alt Gefatrin", wohl eine Erfindung des Sachs, um das Spiel dramatisch bewegter zu gestalten; 2. das Ziehen eines Kreises, in dessen Mitte das Eisen niedergelegt wird, während in dem Gedichte (V. 65):

Zwen' steine wären da bereit

Da wart daz isen üf geleit; . die nähere Bezeichnung des ersten Liebhabers der Frau als Caplan Punkt 2. und 3 mögen durch das vorausgehende Stück („der farendt Schuler") eingegeben worden sein 4. der versöhnende Schluß. Sonst ist die Fabel in beiden Dichtungen so auffallend ähnlich, daß man die ältere oder wenigstens eine ihr sehr nahe stehende Umdichtüng als die directe Quelle des Meisters betrachten darf. Auch sprachlich nähern sich beide einander vielfach; man vergleiche:

Das Gedicht, V. 39: Sachs, V. 73:

Des ich dich wil bewisen So trag du mir das heisse Eyssen

trag mir daz heize isen. Damit thu dein Unschuld beweisen.

V. 71:

Da het er einen gevuegen spän

vor in den ermel getan

Den liez er vallen in die hant.

V. 157: „Lieber geselle" sprach siu ich hän noch guoter pfunde driu Der du einen pfennink nicht

enweist

nim diu selben driu pfunt

V. 89: Nun wil ich In Ermel stecken diesen Spon. Wenn ich das Eyssn soll tragn der-

massen, So wil ich den Span heimlich lassen Herfür hoschen auf meine Hendt.

V. 177: Mein Mann, ich hab ye noch ein bitt : Ich hab ein Schatz, den weistu nit Vier gülden Zwölffer

Den Schatz will ich auch geben dir, Las mir noch nach der Männer vir.

und mir uzen noch dri (Vier und dar zuo aber einen und nimmer me keinen).

Ich stehe nicht an, das altdeutsche Gedicht selbst, und zwar in einer der Dresdener Handschrift nahe kommenden Version, als die directe Vorlage des Nürnbergers zu betrachten.

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39. Von d er vnglückha ff tenversch wetzten Bulschaft.

40. Der Parteckensack.

Über diese beiden Spiele sind meine Nachforschungen noch nicht abgeschlossen. Ich hoffe später darauf zurückzukommen.

41. Der gestolen Pachen.

Quelle1): Boccaccio Decam. VIII, 6. H. Sachs verfuhr hier ähulich wie in dem letzten Fastnachtspiel nach gleicher Quelle (s. Nr. 27). Er localisierte den Stoff: Er machte aus den florentinischen Künstlern Bauern, worauf ihn vielleicht der Umstand brachte, daß sich in seinem Vorbilde die Handlung in einem Dorfe zutrug. Mit mehr oder minder Glück wich er in vielen Einzelheiten von seiner Quelle ab. Es dürfte sich verlohnen, einmal sein Verfahren genauer zu veranschaulichen. Bei H. S. eröffnen die beiden Bauern Heintz Knol (Buffelmacho) und Cuntz Drol (Bruno) geschickt exponierend die Handlung. Es ist Fastnachtszeit (bei Boccaccio Decam. „vmb aller heyligen tage"). Sie sprechen vom Zechen und kommen alsbald auf Hans Dol (Calandriuo), sein kürzlich geschlachtetes Schwein und seinen Geiz zu sprechen Soweit ist die Exposition von Sachs. Nun macht Drol (im Anschluß an Bocc.) den Vorschlag, ,, das Schweinen bachen" zu stehlen. Der hiezu geplante Weg weicht von Boccaccio erheblich ab. Bei letzterem wollen die Künstler den „kargen Calandrin" in eine „tafern" führen, wo er, von ihnen zechfrei gehalten, sich bald betrinken wird, so daß es ihnen leicht gelingen muß, sich ins Haus zu schleichen und das Schwein zu entwenden. Bei H. S. soll Drol etwas bei dem filzigen Dol entleihen , indeß sich Knol heimlich ins Haus schleicht und den Diebstahl ausführt. Man kann die Vereinfachung des deutschen Dichters im Interesse der Handlung des Spiels nur gutheißen. Nun tritt der „karg Pawer" selbst auf und schildert uns behaglich sein „Bachen" sowohl, als auch unwillkürlich seine Knauserei. Drol unterbricht ihn und bittet ihn um „Holtzschlegel vnd Flegel". Vergebens bemüht er sich „ein bar würst" ihm abzulocken. Der karge Dol ruft (V. 101 ff.):

0 ich darffs vor meim Weyb nit than, Sie legt mich drüß vnd peulen ahn, Ich verlur all ir huldt vnd gnadt.

Bei Bocc. räth Bruno dem Calendrin: „verkauff den pachen vnnd laß uns vmb das gelt eyn guten mut schaffen vnd sprich zu dem

*) F. Neumann hat der Quelle dieses Spiels einen sehr interessanten Artikel in M. Kochs Ztschr. f. vergl. Litteraturgeschichte I, p. 161—164 gewidmet, der meine Bemerkungen mehrfach ergänzt.

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weib er sei dir gestolen worden", worauf dieser erwiedert: „Awe neyn, sy gelaubet mir sein nicht vnd iaget mich zu dem hauß auß etc.". Drol meint hierauf: „Es ist doch jetzt dein Weyb im Badt". Bei Bocc. liegt Calandrin's Weib in Florenz krank zu Bett, während er, wie wir sahen, sich im Dorfe befindet.

Der Diebstahl ist gelungen, wie wir alsbald aus einem kurzen Gespräch zwischen Knol und Drol erfahren, und der Bestohlene „kurnbt trawrig" zu den Beiden. Bei Bocc. fängt Calandrino „große romor vnnd geschrey" an, welchen feinen, im Charakter des Knausers begründeten Zug H. S. sich sonderbarerweise entgehen ließ. Nachdem der Meister außerdem den oben erwähnten Vorschlag des Bruno, das Schwein zu verkaufen und vorzugeben, es sei gestohlen, nicht verwendet hatte, so konnte er auch nicht den köstlichen Dialog zwischen Bruno und dem jammernden Calandrin getreu nachbilden, so daß die hierher- gehörende schon in der deutschen Übersetzung stark verblaßte Stelle bei Sachs vollends Saft und Kraft einbüßte. In ähnlicher Weise wie hier ließ sich der ehrsame Meister leider gar oft gerade die feinsten Züge entgehen und lieferte damit den nachdrücklichen Beweis, daß ihm für die höhere Komik das Verständniß abging.

Während nun zur Wiedergewinnung des Bachen, bezw. zur Entdeckung des Diebes, bei Bocc. Bruno den Vorschlag mit den „Gallen" macht, hat Sachs hiezu eine neue Person, den beim Italiener nur nebenhin erwähnten Pfarrer auftreten lassen. Dieser spielt von jetzt an die Hauptrolle und wendet eine weitere Abweichung von Bocc. „die schwartze kunst" an. Haben wir es mit einer Reminiscenz aus Fastnachtspiel Nr. 37 zu thun? Er läßt sich von H. Dol „fünff batzen" Bruno von Cal. dagegen „vierczig Schillinge" geben und richtet, ähnlich wie bei Bocc, den grün Ingwer und Aloe mit Huntzdreck (Cento Nov.: „aloe vnd hunczkote") her. Hieraufnimmt er eine förmliche Beschwörung („starken segen") an der „Kirchhoff mawrn" bei Bocc. „vmb die linten" mit Macaronlatein (Sachs' Erfindung?) vor. In der deutschen Dichtung fehlen die „jungen purger und pauren" Boccaccios, obwohl auch Dol „die Nachbawrn zammen forder" sollte , und ebenso vermißt man die feierliche Anrede Brunos an die Versammelten. Die Handlung verläuft nunmehr, wie in der Novelle, nur gibt der Geprellte, damit man seiner Frau nichts verrathe, „zween gülden" anstatt neyn par veyster capaun" (Boccaccio). Der „zweinzig brodt würst", die man noch von ihm verlangt Zusatz des Nürnbergers weiß er sich mit Hinweis auf seine Frau zu entziehen.

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Der Pfarrer schließt, worauf S. nun einmal nicht verzichten kann, mit einer Moral:

Also muß man schlichen die Affen

Vnd die filtzingen geitzhals straffen u. s. w.

42. Der Pawr inn dem Fegfewer.

Quelle: Bocc. Cento Nov. III, 8 bereits von Tittmann (Dicht. von H. Sachs III, p. XXXIV u. 94) nachgewiesen. H. Sachs hat die unsaubere Liebschaft des Abtes mit der Bäuerin weggelassen. Der Abt erhält von der letzteren für seine Kur „ein haffn mit pfennig". Ich kann mich Tittmann nicht anschließen, wenn er meint, daß dadurch „der Schwank an komischem Gehalt nichts verloren hat"; er hat vielmehr pflegt es doch meist so zu ergehen an Witz verloren, was er in sittlicher Hinsicht gewonnen. Daß Sachs sich durch moralische Rücksichten bei der Weglassung der Liebesintrigue übrigens nicht leiten ließ, erhellt daraus, daß er in dem Meistergesang gleichen Inhalts, wie E. Goetze1) bemerkt, die Liebe des Abtes >echt aus- führlich hervorgehoben hat. Die Behandlung des Bauern im Fegfeuer ist ziemlich getreu mit vielen wörtlichen Entlehnungen nachgebildet. Die Namen aller Personen, sowie die originellen Figuren der Bauern Eberlein Gröltzenbrey und Nickel Rubendunst sind seine Erfindung.

43. Die listig Bulerin.

Die bereits von F. W. V. Schmidt {Beiträge p. 70) nachgewiesene Quelle ist B oc caccio VII, 6. Hans Sachs läßt in diesem schwachen Erzeugniß die beiden Liebhaber gestört werden, ehe sie ihren Zweck erreichen. Im Übrigen schließt er sich sehr häufig wörtlich seiner Quelle an.

44. Das gesprech Alexandri Magni mit dem Philo- sopho Diogeni.

Auch dieses Thema wurde von Sachs mehrere Male behandelt. In der einen Bearbeitung aus dem 12. Spruchbuche (1558) bezeichnet er den „geschieht Schreiber plutarchus" als seine Quelle. Diese Angabe ist geeignet, irre zu führen; denn nicht der Geschicht- schreiber (bezw. Biograph) Plutarch, sondern der Verfasser der 'Anorp&e'y [tat a ist die Hauptquelle zum Fastnachtspiel gewesen. Im Leben Alexanders (cap. 14), welches E. Goetze (IV, p. XVII) für die (alleinige?) Quelle hält, fand S. wenn die von ihm benützte Boner'sche Übersetzung nicht ausführlicher ist, als der mir vor- liegende griechische Text nur wenig. Fast das ganze Gespräch

') Fastnaclitspiele von H. Sachs IV, p. VII.

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ist aus Eppendorffs Übersetzung der j47to(p^iy^.axa (1534, Straß- burg) zusammengestellt. Ich verweise insbesondere auf Fol. 154, 155, 163, 184 u. s. w. (in „Diogenis weise u. sittliche Spruch"). Man möchte fast glauben, daß die Worte bei Plutarch-Eppend. (p. 154) „Alexan- der byelt vil gespräch mit ym" H. Sachs den Gedanken zu

seinem langen Gespräch eingegeben habe. Daß er die Handluug nach Athen verlegte, während Plutarch, sowohl im Leben Alexanders, als in den „kurtzweisen höfl. Sprüchen" (p. 154), ausdrücklich Corinth als Ort des Zusammentreffens erwähnt, hat wohl seinen Grund darin, daß der Meister in vielen Sprüchen den Diogenes meist mit Athen und Athenern in Beziehung gesetzt fand.

45. Der groß Eyferer, der sein Weib Beicht höret. Auch zu diesem Spiel hat F. W. V. Schmidt (p. 69) die Quelle,

Boccaccio VII, 5. bereits genannt. Sachs schließt sich eng an Bocc. Decam. , sogar im Ausdrucke an, doch hat er, und dieses Mal ist es eine Verbesserung, die der komischen Wirkung keinen Eintrag thut, die Frau durchaus als ehrbar dargestellt. Wohl erwähnt die Magd Vrsula H. Sachsens dramatisch wirksame Zutbat den Wand- nachbar Philipp und „die klafft" (V. 36/37) und räth ihrer Herrin:

,.Da mögt jhr jhn wol reden an

Und ewer gesprech mit jhm han

Heymlich", allein jene will „als ein fromb ehrlich Weib bestehn".

46. Das Weib im Brunnen.

„Eine echt deutsche, überaus lustige Posse" so urtheilt Schmidt in den Beiträgen, p. 68, zu Bocc. VII, 4, der Quelle unseres Spiels „hat Hans Sachs daraus gemacht . Sie ist voll komi- scher Kraft und Wahrheit, und verdient eine abermalige Bekannt- machung". Der Meister schloß sich Bocc. getreu an und entnahm viele Stellen wörtlich. Der Dialog ist gewandt, die Sprache kräftig, aber die Originalität des Deutschen gleich Null.

47. Der Tyrann Dionisius mit Damone seiner glück- sei igkeit halber.

Die Quelle dieses Stückes ist F. Petrarchae reram rnemoran- darum Ubri und zwar in nachstehender Übersetzung1): „De Rebus

*) Ich entnehme, da es mir an den nöthigen bibliographischen Hilfsmitteln hier fehlt, die Beschreibung dieser Ausgabe dem 167. Verzeichniß des antiquar. Lagers von K. Th. Völcker in Frankfurt a. M. Die Angaben sind unvollständig und können natürlich auch auf diplomatische Genauigkeit keinen Anspruch erheben.

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Memorandis Gedenkbuch Aller der Handlungen, die sich vonn anbeainn

der Welt begeben vnd zugetragen haben Verteutschet durch Magistr.

Steph. Vigilium. Augspurg. H. Stayner 1541. Mit 14 Holzschn. von H. Burgkmair. Fol. VIII u. 96 Bl.u.

Mir liegt eine spätere Ausgabe vor, deren Beschreibung ich iu der Anmerkung ') folgen lasse.

Die hierher gehörende Erzählung steht im III. Gedenkbuch, Capitel LIII, mit der Überschrift: „Von weiser anzeigung eines i/efährlichen stadts vmb einn Tyrannen". Daß dies wirklich H. S. Quelle ist2), geht daraus hervor, daß 1. hier wie bei Sachs der Name Dämon für Damokles steht, 2. aus einer Anzahl von sprachlichen Übereinstimmungen. Man vergleiche:

Petrarcha: Sachs, V. 14:

Dann da einer | mit namen Dämon | Dämon, sein raht spricht:

ein besonderer lober | vnd alles seines Selig bist du in allem stück,

glucks fürnemer verwunderer zu jhm Mein Dionisi hie auff erden etc. käme I preisend seine stadt biß an

Himel | sagend, er wexe der seli- DumiBius, der Tyrann spricht:

gest Mensch vber all vff Erden Dämon, begerst, so wil ich dich

Gab jhm Dionysius antwort: Wiltu Versuchen lassen kurtzer zeyt

aller meiner seligkeyt vnd güts Eintheil von meiner S eligkeit.

lebens nur ein stücklin sehen vnd Das du magst kosten auch ein kosten? Sagt Dämon | Ja ich beger stück etc.

sonst nichts anders.

Dämon, V. 133: jetz liesse er sich beduncken er Ja, jetzundt ist mir recht vnd wol were recht selig | recht frölich | recht Mein Herz ist aller frewden vol.

') De Rebus Memorandis. Franciscus Petrarcha der Hochgeleert vnd weit berümpt Orator vimd Poet | von allerhandt furtreflichen handlungen | so sich von anbegin der Welt wunderbarlich zugetragen vnnd begeben haben | wol wirdig f daß sie in ewige zeit nimmer in vergeß gestellt | dergleichen auch in Teutscher Spraach vor nie gesehen | gehört noch geredt worden. Jetzunder auffs fleißigst vnnd herr- lichst auß dem Latein inns Teutsch gebracht durch M. Stephanura Vigilium Paci monfanum | vnd mit schonen Figuren gezieret. Hierzu seindt kommen der sieben Weisen in Grecia Sprichwörter | Künstlich in Rheimen | durch den sinnreichen Poeten Casparum Bruschium | gestellt. Allen Stenden vnd Menschen gantz lustig | kurtz- weilig | vnd nützlich zulesen. Cum Cesarae maiestatis gratia & Privilegio nouo, Franckfurt am Meyn | Bey Christian Egenolffs seligen Erben. M.D.LXVI. Fol., 6 nicht foliierte Blätter, 102 foliierte. zuletzt nochmals ß nicht foliierte.

') Inzwischen hat auch E. Götze (Fastnachtsp, IV, p. XIX) Petrarcha, aber nur ils wahrscheinliche Quelle bezeichnet. Siehe (1. c.) übrigens seine Bemerkungen wegen eines Meistergesangs, der den gleichen Stoff behandelt.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 29

weiß | jetzt meint er hett ersehen das Wie mächst mir nur baß sein auff erdt

gute leben der Tyrannen | Inn dem Bin ich der Seligkeit gewerdt?

gaffete er vmbsich | vnnd vbersich |

da sihet er eben ob seinem Des bleib ich frölich jmmer mehr.

haupt ein bloß schneidend glantzend

spitzig schwerdt | an einem pferdts Dämon:

har auß dem schwantze gezogen | das schaiot vbersich das bloß Schwerdt zitteret vnnd wacket | als wolt es jetzt 0j ßm Jiangen vnm\ spricht.

auff sein kopff fallen | hangen. _

Ich sich ein scharpff zwischneident

schwert Ob meinem haubt hangen fürwar, Ganz zitrendt an einem Roßhar, Das zilt mir in mein haubt zu fallen.

Sachs schloß sich ziemlich getreu der Erzählung an ; nur glaubte er die Gefahr, in der Dämon schwebt, noch verstärken zu müssen, indem er zwei Trabanten auftreten ließ, die mit Waffen nach ihm zielen. Einige Züge entlehnte S. übrigens aus Scherz mit der War- heyt (ed. 1550, fol. 3).

Über Verbreitung des Stoffes siehe Oesterley in Kirchhofs Wendunmut V, p. 75.

49. Das boß Weyb mit den worten, Würtzen vnd Stein gut zu machen. Die Quelle (schon von Goetze IV, p. XX nachgewiesen) ist offenbar Pauli Nr. 134 (ed. Oesterley p. 97); doch schwebte dem Dichter bei der Abfassung ein bereits früher als Spiel ver- arbeiteter Stoff „der böß Rauch" (s. o. Nr. 28) vor, den er hier nochmals stark mitverwebte. Es ist dies leicht erklärlich; handelt es sich doch hier und dort um die Zähmung einer bösen Sieben, die freilich dort mißglückt und hier gelingt. Während Pauli den geplagten Ehemann zu dem in Folge seines bekannten Urtheils „durch alle Land" gepriesenen Salomon wandern läßt, wo ihm der Rath ertheilt wird: „in verbis herbis et lapidibus est magna virtus", so tritt hier, wie in Nr. 28, der Mann klagend auf, der Nachbar gesellt sich zu ihm, fragt ihn nach seinem Kummer und auf seine Beichte hin, erzählt er ihm nun, was er vor Jahren gehört, daß ein Mann von König Salomon in ähnlicher Lage obigen „kurtzen raht" erhalten habe. Wortseliger als der weise Sohn Davids fügt der Nachbar gleich noch die Deutung hinzu. Sachs zeigt wiederum, daß ihm die sinnige Kürze des Orients nicht behagte. Schon oben in der Behandlung der ver- wandten Nr. 26 (Joseph u. Melisso) hatte er es für nöthig erachtet,

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dem König nachträglich die Deutung seiner lakonischen Worte geben zu lassen. Dem Meister scheint daran gelegen zu sein, zu zeigen, wie richtig er den Sinn der räthselhaften Worte auffaßte. Daher erklärt der Kachbar die Steine als ,.Köstlich Edelgestein", die „der alt Mann hab In gülden ring ein lassen fassen". Das böse Weib erscheint jetzt, and der Nachbar empfiehlt sich, fast wie in Nr. 28 (Vers 177 „Aide, aide, ich scheidt mit wissen") mit den Worten: „Gehab dich wol, ich scheidt mit wissen". Nun folgen die verschiedenen Versuche, wie in Pauli, jedoch mit kleinen charakteristischen Än- derungen. So „truckt" der Mann bei dem zweiten Versuch nicht, wie es bei Pauli heißt, die Frau „in ein winckel vnd hub ir ein büschelin nach dem andern für die nassen", hat er doch, noch von Nr. 28 her, eine sehr bestimmte Erinnerung, wie gefährlich eine solche Annäherung ist, sondern er „helt jhr die würtz'- einfach mit freundlichen Wrorten ,.für" : ferner versucht er „die Edlen stein Rubin, Saphir demandt in einen ring", um endlich Paulis 3., allein wirksames Mittel anzuwenden. Beweiskräftig für den Einfluß von Nr. 28 ist noch, daß die Frau nach dem zweiten Versuch plötzlich, eigentlich recht unmotiviert, mit „bruch, taschen vnd messer" auftritt. Damit kündigt sich unser Stück geradezu als eine Fortsetzung von ..der böß Rauch" an. Es erscheint auch, wie in diesem, zu Schluß nochmals der Nachbar. Den Stoff bat S. außerdem auch als Meistergesang (1537) behandelt.

50. Der verdorben Edelman mit dem weichen beht. etc.

Die erste und größere Hälfte dieses Spiels, die uns das ver- schwenderische Leben des verschuldeten „verdorben Edelmanns" in anschaulicher Weise vorführt, dürfte einem älteren lateinischen (Schul-) Drama entlehnt sein. Die Namen Superbus, Avarus, Gnato, Dromo und noch manche andere Umstände machen dies ziemlich sicher. Da es mir hierorts an dem einschlägigen Material fehlt, so konnte ich das Original bis jetzt noch nicht nachweisen. Interessant ist nebenbei bemerkt die Ähnlichkeit der Situation einerseits mit Shaksperes Timon und anderseits mit Gil Vicentes „Farga dos Almocreves".

Erst von Vers 192 an nähern wir uns der im Titel angedeuteten Fabel, die Sachs zugleich aus Pauli Nr. 503 (etwa 10 Linien groß), Petrai cha-Vigilius II, 37, fol. 24 (blos ö1/« Zeilen) und „Scherz mit derWarheyt", 3b, kannte. Er verstand es, die kurze Anekdote ziemlich breit (V. 192—339) auszuspinnen.

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51. Ewlenspiegel mit den blinden. Zum ersten Male und auffallend spät stoßen wir auf ein Spiel, das dem beliebten Volks buche entnommen ist. Es ist dies um so auffallender, als S. das Buch schon lang1) kannte. Die 71. Geschichte lieferte ihm das Material. Sachs folgte ziemlich getreu dem Volksbuche und es lassen sich selbst manche wörtliche Übereinstimmungen nach- weisen, so z. B.: Eulenspiegel (Lappenberg p. 104):

verzerent diße XII gül- den vmb meinent willen biz so lang daz ir für frost wider wandern mögen.

Sachs, V. 51: Da wil ich euch ein thaler schenken,

Verzert den beim Hans Wirdt darnach, Biß die kelt laß ein wenig nach Das jr denn wiederumb mügt wandern.

Ich hab vch einen bürgen über- V. 251 :

kummen. ICÜ uaD ein bürgen vberkömmen.

Die gleiche Geschichte findet sich außerdem in dem von Sachs viel benützten Pauli (Nr. 646), offenbar aus dem (etwas älteren) Volksbuch von Eulenspiegel geschöpft, aber mit manchen Abweichungen. So wird z. B. bei ihm nicht Eulenspiegel, sondern „ein ritter" als der Anstifter des Streiches genannt, die Handlung ereignet sich bei Nürnberg und nicht in Hannover, der Wirth sperrt die Blinden in einen „genßstal" statt in den „schweinstal" , der Priester gibt, statt zwei Tage, 14 Tage Frist. Keine dieser Abweichungen wurde von Sachs adoptiert; gleichwohl halte ich es für sicher, daß Sachs auch Paulys Erzählung benützte. Nachstehende sprachliche Berührungen sprechen dafür.

Pauli: Sachs, V. 125:

wolan lieben brüder wir wollen ein Ir brüdr, jr brüdr .... mal rechnen. Wir wolln ein mal zalen und rechen.

V. 148: Der wirt was zornig vnd sprach das Der Wirdt feit sie alle drei/ ahn vnd war recht das ir mich also vmb spricht:

das meine wolten bescheissen, ir Ich wil euch einsperren all drey schelck etc.

Ir bescheysset doch Leud vnd Landt.

Ir erlösen schelck vnd Spitzbuben.

*) Ein Spruchgcdicht Ewlenspiegel auf dem henckersteg" (abgedr. in Schweitzers Etüde sur la Vie et les oeuvres de H. Sachs, p. 444/5) ist vom 20. Juui 1539 datiert.

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Pauly: V. 219:

Lieber her mein wirt zu dem hasen Mein Herr, ich lieg dort beim Hans ist hinnacht von sinnen kumen, man Wirdt

meint er sei besessen vnd laßt euch Zu herberg, der selb dolisirt,

sein fraw bitten, ir wollen in ledig Thut gleych, sam sey er gar besessen, machen, des wil sie euch wol Ionen.

V. 227:

Drumb ist an euch der Wirtin bit Ir wolt in noht sie lassen nit, Sonder jm helffen mit beschwern Sie wil euch mit einer schenck verehrn.

Anderseits bietet Sachs mehrere Züge, die sich in beiden Versionen nicht finden: 1. hat er nur drei Blinde (bei jenen sind es zwölf); 2. der Schalk schenkt angeblich nur ein Geldstück, einen Thaler (bei jenen zwo lf Gulden); 3. der Pfarrer rüstet sich in allem Ernste zum Beschwörungsact (bei Pauli und im Eulenspiegel kommt es nicht dazu) ; 4. der Wirth wird von den dem Geistlichen zu Hilfe eilenden Bauern festgenommen und zwar nicht mehr im Spiele, aber nach den Schlußworten des Pfarrers ganz bestimmt exorcisiert.

Merkwürdigerweise stimmt Sachs in diesen Punkten mit dem altfranzösischen Fabliau des Trouvere Cortebarbe „Les trois Avugles de Compiengne" überein: Hier sind es 1., wie schon der Titel besagt, drei Blinde, die 2. ein Geldstück (un besant) erhalten; 3. heißt es im Gedicht (Vers 276/277) :

Et li Prestres, sanz demoree A pris le livre et puis l'estole. Hiemit vergleiche man Hans Sachs:

Der Pfaff kumbt, hat den stol am halß, ein Buch vnd gerten in der handt. 4. halten die Bauern auf des Priesters Geheiß den Wirth, und jener nimmt wirklich die Beschwörung vor.

Diese auffallenden Übereinstimmungen können unmöglich das Werk des Zufalls sein. Sachs hat also noch eine dritte Quelle, vielleicht eine jetzt verlorene deutsche Bearbeitung des Fabliau gehabt.

Schließlich sei noch bemerkt, daß Sachs den Namen Egelßheim das Dorf, woselbst bei ihm die Geschichte vor sich geht wahr- scheinlich aus der 37. Histori des Eulenspiegel entlehnt hat.

52. Wie Gott, derHerr, Adam vnn d Eva jhre Kinder segnet. Dieser Stoff muß H. Sachs ganz besonders zugesagt haben, da er ihn nicht weniger als vier Mal bearbeitete. In der ersten Bearbeitung,

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMI.N 33

iin Meistergesang vom 25. August 1547, nennt er keine Quelle. Goedeke, der das Gedicht abdruckte und dabei auf verschiedene Bearbeitungen des Stoffes hinwies, hält für des Dichters Vorlage Melanchthons Brief vom 23. Mai 1539 (Corp. Reformat. III, p. 654, Nr. 1785). Ich kann einen Einfluß dieses Briefes auf den Meistergesang nicht rinden, constatiere vielmehr die größte Ähnlichkeit mit der kurzen Erzählung in Joh. Agricolas Sprichiuörtem1) , die, u.A. in Nürnberg 1529 und wiederum 1530 gedruckt, H. Sachs wohl bekannt waren. Die zwei ersten Strophen des Gedichtes entsprechen ganz, sogar im Ausdrucke, Agricolas Erzählung. Für die dritte Strophe allerdings findet sich nicht blos bei jenem, sondern auch bei Melanchthon und selbst im Dialog des Erasmus Alberus gar kein Anhaltspunkt. Eva nämlich, unzufrieden mit dem ungleichen Loose ihrer Kinder, macht dem Herrn hierüber „trotzigleich" Vorstellungen, worauf er ihr die Notwendigkeit der Stände in der Welt klarlegt. Dieser charakteristische Zug, welcher auch in unserem Spiele, der zweiten Bearbeitung des Stoffes, wiederkehrt (siehe Vers 308 u. 331 ff.), legt die Annahme einer noch unbekannten Quelle nahe. Vielleicht fand sich der Zug in dem Gedicht, das Melanchthon als seine Quelle bezeichnete.

Das Fastnachtspiel beruht erstens wiederum auf Agricola, ferner auf des Erasmus Alberus Gespräch „Von der Schlangen Ver- jürung etc.u. Die Annahme einer directen Benützung von Melanchthons lateinischem Brief halte ich nicht für unbedingt geboten. Sachs, der diese Quelle erst bei der dritten Bearbeitung, bei der Co media „die ungleichen Kinder Eve" (aus dem gleichen Jahre 1553) nennt, mochte sein Wissen davon einzig und allein aus des Alber Dedicationsschreiben schöpfen. Dagegen war ihm eine Bearbeitung des Melanchthon'schen Briefes bekannt, auf welche meines Wissens bis jetzt Niemand auf- merksam gemacht hat. Sie steht in dem Dedicationsschreiben, das Stephau Vigilius seiner oben erwähnten Übersetzung von Petrarchas „de Rebus memorandis" voranstellte. Das Schreiben ist an „Leonharden Becken | zu Augspurg | Rhömischer Keyserlicher Maiestat | x Rathu gerichtet und umfaßt '2i/2 Seiten Folio. Da Sachs, wie wir sahen (s. o. Nr. 47), das Buch kannte und benützte, so konnte ihm diese Bearbeitung des Melanchthon'schen Schreibens nicht leicht entgehen. Vigilius nennt seine Quelle nicht. Er „wil" mit der Erzählung „auffs kürtzest des rechten waren Adels grundt vnd vrsprung anzeygen".

') Abgedruckt in Goedekes „Schwanke des 16. Jahrhunderts", p. 24. GERMANIA. Neue Keiho. XXIV. (XXXVI.) Jakrg. 3

34 A. L. STIEFEL

Einige Wendungen bei Sachs machen es ziemlich sicher, daß er fliese Version kannte. So lesen wir z. B. bei

Vigilius: Sachs, V. 83:

Dise aber die sie (Eva) wol ge- Hab ichs nit fein gestri chen raus.

V. 115.

waschen | herfür gestrichen vnnd

gezieret hett | stellt sie fein ordenlich

nach einanderher | daß sie des Her- Wenn Gott, der Herr e kumbt her-

ren Gotts vnnd Erschaffers solten ein*

erwarten vnd j n entpfahen. V. 1 20 : en tp fahet j n allesander !

Nach V. 180 heißt es: Abel tritt herbey |ichlege dir Der Herr legt dem ersten die hend die hende auf f. au ff sein Haubt.

Neben diesen Quellen hat Sachs auch hier wiederum die oben angedeutete unbekannte benützt.

Während es in diesen beiden Dichtungen dem Meister ausschließ- lich darum zu thun war, die göttliche Einsetzung der Stände zu zeigen, verfolgt er in seiner dritten Bearbeitung, in der noch in demselben Jahre geschriebenen Comedia „die ungleichen Kinder Eve", eine andere Tendenz. Seine Hauptquelle war dieses Mal für die vier ersten Acte des Alberus Dialog, und gleich diesem erhob er die Prüfung der Kinder im lutherischen Katechismus zum Haupt- gegenstand der Darstellung. Die Einsetzung der Stände, die freilich bei Alberus ganz fehlt, wird nur ganz kurz und obenhin abgefertigt. Seine weiteren Quellen waren die .Bibel für den 5. Act: Ermor- dung Abels , sein eigenes Spiel, von dem viele Sätze wörtlich herübergenommen sind, Agricola, Vigilius, wahrscheinlich die mir unzugänglich gebliebene „Tragedia von Verordnung der Stend etc.u (1539) des H. Chnustinus (H. Knaust) (s. Goed.1) Grundr. §. 151 und Seh. v. Carolsfeld w. u.) und endlich ein älteres, bereits 1516 (oder gar 1509) zu Freiberg aufgeführtes Spiel, in welchem die Namen der „sechs gehorsamen und sechs ungeraten sün Eve" ganz mit Sachs übereinstimmen.

Tn seiner letzten Bearbeitung, in dem Anfangs 1558 verfaßten Schwank „Die vngleichen kinder Eve", kehrte Sachs wieder zu der früheren Tendenz zurück. Der Schwank, entschieden die beste unter den vier Dichtungen, in welcher die ursprüngliche Fabel am reinsten zum Ausdruck kommt, lehnt sich an Meistergesang und Spiel an, mit welchen er auch in den Quellen übereinstimmt.

l) Ich citiere nach der ersten Auflage, da die zweite hier nicht zu haben ist

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN 35

Ich habe das interessante Thema mit den vorstehenden Bemer- kungen lange nicht erschöpft. Ich mußte mich eben auf das Wichtigste beschränken und konnte es um so mehr thun, als wir, wie ich höre, eine 'ausführliche Arbeit über die Fabel von J. Bolte in Berlin zu erwarten haben. Ich verweise noch auf die untenstehenden Werke1).

53. Der Ketzermeister mit den vil Kessel suppen. Quelle: Bocc. Cento Nov., bereits von Goedeke gelegentlich

des Meistergesangs gleichen Inhalts von 1544 (Dichtungen des H. Sachs I, p. 160) nachgewiesen. Der Nürnberger, dessen Zeit sich dem Stoffe gegenüber natürlich anders verhielt, als die des Florentiners, hat es verstanden, eine beißende, zeitgemäße und äußerst lustige Satire dar- aus zu machen. Die Figuren des schalkhaftigen Nachbars Clas und des „Suppenfressers" (= Schmarotzer) Herman Pich sind lebenswahre, treffliche Schöpfungen des Meisters.

54. Der Bawer mit dem Plerr.

Schon 1548 hatte Sachs einen Meistergesang mit gleichem Titel gedichtet. Die älteste mir bekannt gewordene deutsche Behandlung des offenbar orientalischen Stoffes ist das bei v. d. Hagen (Gesammt- abenteuer II, p. 265 ff.) abgedruckte Gedicht ,. Der wibe List". Hier sieht ein „man" von seinem Weibe „Einen sicherlichen gän" und zer- bläut die Frau. Sie nimmt die Hilfe einer „vuegerinne" (Kupplerin) in Anspruch. Da sie an jenem Tage „kerle" (oder kernel), ein unge- wöhnliches Kraut gegessen, so findet die Alte eine List, ihr zu helfen. Sie tritt dem Manne entgegen und verwundert sich über sein mon- ströses Aussehen (zwei Nasen, vier Füße) und entschuldigt sich, scheinbar ihren Irrthum einsehend, damit, daß sie ein Zauberkraut, gegessen, „kernel" genannt. 'Wer ez izzet. dem geschult, daz er alsus missesiht'. Natürlich glaubt der Thor, daß es ihm so mit seiner Frau gegangen. Sachs benützte vielleicht eine Umbildung des mittelhoch- deutschen Gedichtes.

56. Die Bürgerin mit dem Thumbherrn.

Die offenbar orientalische Novelle, welche diesem Spiele zu Grunde liegt, findet sich in vielen Versionen der Sieben weisen Meister gewöhnlich dem vierten Meister, seltener dem dritten, zugeschrieben In den deutschen Bearbeitungen dieses Volksbuches wird sie von dem

') J. Grimm in Haupts Ztschr. II, 264; E. Matthias' Abdr. von E. Alberas Gespräch von der schlangen veiiiiliruii^' (Zs. f. deutsche Piniol. 21. Bd., p. 410-461); Tittmann, H. Sachs III, p. XXXVI ff.; Ilwolf in Pfeiffers Germania X, 429; Blätter f. literar. Unterh. 1846 II, 887 ff.; und besonders Schnorr v. Carolsfelds interessanter Aufsatz in seinem Archiv XII, 177 184.

3*

36 A. L. STIEFEL

vierten Weisen (Maldrach, Wald(r)ach) erzählt. H. Sachs hat zunächst eine Prosaversion der Sieben w. M. und vielleicht die nachstehende vor sich gehabt:

„Hie nach volgt ein \ gar schöne Cronick vnd hystori vfi den ge- schichtin der Römer | Auch die glose vn der geistliche sinn des buchs Gesta Romanorum oder der syben wisen meyster \ darin man vindet vil schöner vnd mltzlicher exempel \ die gar lustlich vnd kurtzwillig zu lesen sind. (Titelvignette) o. 0. u. J. Ana Ende : zu Straßburg durch Mathis hüpf uff Im Jar 1512. 4°."

Merkwürdiger Weise stimmt mit der darin vorkommenden hier- her gehörenden Erzählung die 34. im „Ritter vom Thurn", abgesehen von orthographischen Abweichungen und einzelnen unbedeutenden Ausdrücken, wortwörtlich überein. Zum Vergleiche benutzte ich fol- gende Ausgabe:

Der Ritter vom Thurn, Zuchtmeister der Weiber vnd Junck- frawen etc. Von neuwem verteutscht \ vnd getruckt zu Straßburg beim M. Jacob Cammerlander von Mentz Anno MDXXXVIII. Fol. Ganz mit denselben Worten erzählt, findet sich die Novelle auch in späteren Ausgaben des Romans, z. B. im „Buch der Liebe". Ob sie aber auch in älteren Ausgaben (vor 1538), oder gar im französischen Original vorkommt, weiß ich nicht, weil mir weder das letztere noch frühere deutsche Übersetzungen hier zur Verfügung stehen. Nach der Vorrede „Zürn Leser" des Druckers Cammerlander (in der obigen Ausgabe) zu schließen, möchte man es fast bezweifeln. Dieser spricht sich nämlich tadelnd über das französische Original und die, wie es scheint, wörtliche Übersetzung des ersten Übersetzers „Marquart vom Steyn Ritter vnd Landtuogt zu Montpellicart" aus, und bemerkt, daß er einschneidende Veränderungen damit habe vornehmen müssen,

er habe „die fablen hinweg gethan | wäre historien auß der Bibel

darin gesetzet | sampt andern waren historien Schreibern von bösen vnd frummen weibern". Es ist daher wahrscheinlich, daß diese Geschichte erst von Cammerlander aus den „sieben iceüen Meistern" herübergenommen worden ist ') ; daher die vollkommene Übereinstimmung.

Daß Sachs die Novelle, sei es aus diesem Buche, sei es aus ienem, gekannt hat, beweisen folgende Parallelstellen:

Ritter vom Thurn2). Sachs, Vers 217 ff.

Vnd so wir vnd sie alle oben an vnd wenn er zu Tisch dem tische werden sitzen | vnd du Sitzt, vnd drauff steht Wildprät vnd gegen jm | wan dann nun der tisch Fisch,

') Meine Vermuthung fand ich durch nachträglich ermöglichten Vergleich bestätigt. 5) Vergleichshalber stehe der Text aus obiger Ausgabe der Gesta Romano-

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vol wein vnd Kost ist gesetzt, so henck heimlich dein sehhlssel in das tisch- tuch und sprich | ach wie bin ich so vergessen | ich habe mein messer in der kammer gelassen | vnd sthe da- mit vngestümlichen auff | ziehe das tischtuch mit dir vff das erdtrich | vnd thu als ob du es nit gern gethan habest |

Der Teuffei nem den Pfaffen vnd alle Pfaffen | ich will niemannt dann meinen Eelichen man !).

So henck dein Schlüssel heimelich Ins Tischtuch, fahr auff schnelliglich Samb habst etwas daussen vergessen, Reiß das Tischtuch mit Tranck vnd

essen Vom Tisch heraber auff die Erd,

V. 334: Ich wolt, es hett der Teuffei hin Den Pfaffen vnd sonst alle Pfaffen, Eh ich wolt habe mit jm zu schaffen.

Außerdem muß H. Sachs noch eine, oder gar zwei andere Ver- sionen der Erzählung gekannt haben; denn seine Darstellung bietet viele charakteristische Züge, die sich nicht in der oben genannten Novelle finden. Ich habe nun die von Keller2) in den altdeutschen Gedichten herausgegebenen gereimten „Sieben weisen Meister" von 1476 zum Vergleich herangezogen und gefunden', daß die Novelle inhalt- lich mit der Erzählung aus dem Ritter vom Th. (bezw. der Straßburger Prosa-Ausgabe der sieben w. M. von 1512) und H. Sachs bis ins Einzelnste übereinstimmt und einigemal im Ausdruck dem letzteren näher kommt als jene. Man vergleiche die folgenden Stellen:

Sachs, Vers 144 ff. Du weißt, er Dein Mann ein schneeweiß Hündlein hat, Darmit sein freud hat frü vnd spat. Das Hündlein zuck mit deiner Hand Vnd schlag das zu todt an ein Wand. Vnd wenn dein Mann dir das v er tr egt ,

Keller, p. 111, V. 15. Dein man hat einen lieben hund Das ist ein deines hundelin Das hütet altzeit des bettes sein. Das totte vor seinem angesicht! So wisse, das im leyd geschieht Vertreit er dir das, tochter. dan

rum: Vn so wir vfi sie all oben an de tische sitze vnd du gegen ym wann dan nun der tisch vol weyn vnd kost gesetzt ist so henck heymlich dein schlüßel in dz dischtuch vnd sprich Ach wie bin ich so gar vergesse ich hab myn messer yn der kafner ge- lassen | Vnd stand dan vngestihklich vff vnd zähe das tischtuch mit dir vff das ert- lich vn thun als ob du es nit gern gethon hetest.

') Gesta Romanorum: der teüffel nein den pfaffen, vnd alle pfaffe | Ich wil nyemät dan mein eelichen man |

2) Seine Ausgabe von H. von Bühels TDyocletianus Leben" findet sieh hier- orts nicht; ich konnte dieses daher vorerst nicht berücksichtigen [steht ferner. O. 13.].

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A. L. STIEFEL

So magst denn sicher mit dem So hab denn mit dem pf'affen, Pfaffen Obe dir es fuge, zu schaffen!

Bulen, daß er dich nit thut s traffen. Dagegen der Ritter v. Th. !):

Du weist das er eyn kleines hundlin hat | vnd das ihm recht lieb ist | darumb das er seiner betstat hüttet | dasselb tödt vor seinen äugen | vbersieht er dir das | so magst du deinen willen hinfürt desto stetigklicher wage.

Sachs, Vers 165 ff. Keller, 112, Vers 9.

Er ist auff vnser Betth gesprungen, Vff das bete sprang der hunt. Do nam in dy fraw bei den beinen,

Hat die weiß seidin Teck be- Des ritters hunt den deinen,

seh Vnd slug in vaste wider die want,

Vnd hat auch dückisch nach mir bissen. Das [das] hundelein starb zu hant. Da namb ich jn auch mit der Hand Do das der ritter alles sach Vnd schlug jn vmb die steine Wand, Zu seiner frawen er zornlich sprach: Daß ersieh strecket vnd starb todt. Ach, du boszes snodes weip

Was vntugent hat dein hertz vnd leip? W a r vmb h a s t u den hunt er- s 1 a h e n ?

Ihr Mann spricht: Do sprach sie:

Du heyloß vnd verfluchtes Weyb, Der hunt vnszer bette hat

Jetzt solt ich blewen dir dein Leyb! Besch mit seinem vnflat.

Hast du mir denn mein Hund Nu bleibet das bette vnbesch. ...

erschlagen. Vnd die sidin kultern vntzerissen.

Ritter v. Th.: Das hündlin kam als sein gewonheyt was | vnd sprang auff dz bet | Als nun die fraw das sähe | nam sies bei den hindern füssen | vnd schlug es an ein wandt das ihm das hirn aus ging | Da der Ritter das sähe | sprach er | 0 du aller böste vnder allen weybern j warumb hast du mir mein getreuwes hündlin vor meinen äugen getödt.

Bei diesen Übereinstimmungen sollte man fast glauben, daß Sachs jene Handschrift kannte. Jedenfalls dürfte erwiesen sein, daß er mehrere Vorlagen für sein Spiel hatte.

Eigenthümlich ist es, daß er seine Vorbilder, die ihm, dramatisch gehalten wie sie sind, nichts mehr zu tliun übrig ließen, stark kürzte.

') Gesta Rom.: „Du weist das er ein kleines hündlin hat vnd das ym fast lieb ist darumb das es seiner betstat hütet | das selb hündlin todt vor synen äuge | Übersicht er dir das so inegst du deinen willen hinfür dester stetigklicher wagen |.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 39

Ein trefflicher Zug, der vielleicht des Nürnbergers Eigenthum ist, verdient noch hervorgehoben zu werden: die Frau motiviert das Umhauen des Baumes mit einem bösen Traum. Sie sah den Gatten an dem Baume hängen.

57. Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumb- her rn. Der Stoff dieses Stückes ist bekanntlich orientalischen Ursprungs und erscheint in Deutschland zum ersten Male in dem bei v. d. Hagen abgedruckten und Konrad von Würzburg zugeschriebenen Gedicht: „Alten Weibes List." Man hat die Quelle des Nürnberger Meisters noch nicht nachgewiesen. Ich vermuthe, daß H. Sachs zwei verschiedene Vorlagen hatte: 1. eine jenem alten Gedichte sehr nahestehende Version, vielleicht eine Umdichtung aus der Hand eines Meister- sängers oder eine Prosa- Auflösung, wenn er nicht gar das altdeutsche Gedicht selbst benützte; 2. ein Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts von unbekannter Hand, wahrscheinlich zu Nürnberg geschrieben (abgedr. bei Keller, Nr. 37, S. 277-282). Zunächst geht auch dieses letztere auf das obige Gedicht zurück, dessen Stoff es ziemlich getreu, aber freilich in sehr verkürzter Gestalt wiedergibt. Für die Abhängigkeit von dieser oder zum mindesten einer ihr sehr nahe- stehenden Quelle sprechen die nachfolgenden Punkte. 1. In Gedicht und Fastnachtspiel sind die Personen ein „Thuinherr" (bezw. tuom brobst), eine Kupplerin, eine junge Frau, ihr Mann und ihre Magd; 2. in beiden wird der geistliche Herr an der Zusammenkunft dadurch gehindert, daß er etwas Dringendes zu siegeln hat; 3. in beiden gibt die Magd der Herrin einen Rath, wie sie sich aus der Verlegen- heit ziehen soll; 4. findet man wörtliche Übereinstimmungen, wie z.B. folgende :

Gedicht: Fastnächte p.:

V. 355 ich muoz ein kleine gan Ir mußt ie harren ein klein zeit

V. 157 Sent hin, vil liebiu vrouwe min c , ,. . , . .

, . ... , oet hm, von mir das nemen tut !

hie mit sol m geschenket sin

H. Sachs zeigt, wie bereits bemerkt, Übereinstimmungen mit dem alten Gedicht; denn 1. spielt die Geschichte, wie die Angabe beim Personenverzeichniß (Burckhardus, Thumbherr zu W.) und die Münzsorte (Schilling, Vers 147) beweisen, in Würzburg ') ; 2. ent- sprechen sowohl die Personen, als der Verlauf der Handlung bis in

') Vgl. E. Goetze, Fastnachtsp. von H. Sachs V, p. XI.

40

A. L. .STIEFEL

alle Einzelheiten dem altdeutschen Vorbild, H. Sachs ist nur viel kürzer; 3. finden sich wörtliche Übereinstimmungen:

Gedicht, V. 115 ff.: Sachs, V. 164 ff.:

„So sag' waz wiltu werben?'' Hört, Junge Fraw, an euch ich han

..ach, es wil verderben Ein heymliche Bottschaft zu werben:

Nach iu der tugentlichste man, Ein Jung Mann thut in lieb verderben,

der vrowen künde ie gewan. Dem jr sein Hertz gar habt besessen.

V. 427 ff.:

Ich wil iu geben, wizze Krist, einen rät, der iu guot ist So er erst ze der tür in gange So sument iuch niht lange Ir vallent im in das har unde sprechent:

V. 317: Ich wil ein guten rhat euch geben Daß jr errett Ehr, Gut vnd leben Bald sich der Herr int stubn thut

wenden Fallt jm ins Haar mit beyden Henden vnd sprecht.

Anderseits finden wir bei H. Sachs Beziehungen zum Fastnacht- spiel, so daß eine Benützung von seiner Seite die größte Wahr- scheinlichkeit hat: 1. kommt bei H. Sachs und im älteren Fastnacht- spiel die Alte nur zweimal mit dem Domherrn zusammen (häufiger im Gedicht): 2. überbringt bei beiden die Kupplerin der Frau einen Ring (dagegen einen Gürtel im Gedicht) ; 3. ist in beiden von dem Befehl des Bischofs die Rede (fehlt im Gedicht) ; 4. bei beiden sieht die Magd zuerst den Ehemann kommen (im Gedicht die Frau) ; 5. finden sich mehrere sprachliche Annäherungen, z. B. :

Altes Fastnachtsp.: Sachs, V. 224:

Mein herr bischof hatß selbst geschaft. Der Bishoff hat geschickt herein.

V. 188: Ich pflag der ding nie all mein tag. Ich bin der Ding noch unbedacht.

Mein liebes weip, nu laß davon Wann ich es vor nie mer getett Das alt weip mich sein überrett.

V. 354: Ach, liebes Weib, thu mich begnaden, Ich wils mein lebtag nit mehr than, Hab heut auch erst gefangen an,

Die alt Kupplerin Die redt mir so süß zu den sachen.

58. Ewlenspiegel mit der pfaffen kellerin vnd dem

pf ert.

Die 38. Histori des Ulenspiegel gab Sachs den Stoff zu diesem

Spiel. Wohl behandelt auch Pauli (Nr. 650) die Geschichte, und

offenbar nach dem Volksbuch , da er sogar den Namen Ulenspiegel

beibehielt; allein hier hat Sachs von Paulis Erzählung keinen Ge-

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 41

brauch gemacht und ausschließlich aus der Urquelle geschöpft. Er nahm indeß eine Reihe von kleinen Änderungen vor. So spielt bei ihm die Handlung, wie in dem früheren Fastnachtspiel nach gleicher Quelle (s. o. Nr. 51), und offenbar unter dessen Einfluß , in einem sehr kalten Winter; die „kellerin" tritt mehr als wie im Vor- bild in den Vordergrund; der „pfaff" verliert am Ende, außer Pferd auch noch sie; der Beichte und dem Gezanke zwischen Pfarrer und Magd schließt sich unmittelbar Eulenspiegels Drohung, den Geist- lichen beim Bischof von „Mersenpurg" (statt Halberstadt) anzuzeigen, an.- Endlich ist der Dialog viel derber als im Volksbuch. Man merkt sichtlich das Behagen des Meisters, daß er den ihm gründlich ver- haßten Pfaffen wieder etwas am Zeuge flicken kann. Übrigens gehört das Stück zu seinen schwachen Leistungen.

59. Der rosdieb zw Funssing.

Diese Geschichte, die unbegreiflicher Weise im Laienbuch, wohin sie gehörte, keinen Platz gefunden, ist mir einmal irgendwo schon vorgekommen, ich kann mich jedoch nicht erinnern wo?

60. Der dot mon.

Als Quelle dieses Spiels, welches auch als Meistergesang (26. Mai 1545, Goedeke I, 177 „Der bauer mit der seuhaut") von Sachs be- arbeitet worden, diente (von Goetze VII, p. XIV auch schon erwähnt) ohne Zweifel Pauli, Nr. 144. Eine Reihe von Sätzen und Ausdrücken stimmen wörtlich überein, z. B.:

Pauli (Oest. p. 105): Sachs, V. 109 ff.:

Da legt er sich in die stu- Wen ich mich da int stueben legt,

ben an den rücken vnd streckt die hend Nach aller leng mich dahin stregt, von im als ob er dot wer vnd hielt In mas sam wer gestorben ich, den athem an sich. Vnd zuog den aten hart an mich,

R. 128:

wie wiltu im thün soltu ein Wais ich ie nit, was ich thun sol ,

geschrei machen, so bist du noch nasz Sol ich vor wain oder vor essen? vnd hast noch nit zu morgen gessen 0, ich kan wol pey mir ermessen, du wilt dich vor trucken an legen vnd Wo ich waint vnd macht ein geschrey, zu morgen essen. So komeu all nachpaurn herpey,

So müest ich den vil wainens treiben

Vnd müest den abnt vngessen pleiben.

Pin auch von der wesch aller nas.

Ich wil mich druckn anlegen pas.

Daneben muß Sachs noch eine andere Quelle gehabt haben, denn seine Dichtung enthält Züge, die sich nicht als Ausschmückungen

42 A. L. STIEFEL

seiner Phantasie erklären lassen, so z. B. der rotlie Rock, in dem die Frau ihren Mann zu begraben verspricht, für welchen sie schließ- lich eine 'sawhawt' gut genug hält, das einleitende Gespräch des Ehepaars, und endlich der letzte Theil, worin die Heuchlerin gleich wieder Heiratsgedanken hegt. Hierher gehört auch die abweichende Todesart des Mannes im Meistergesang: der Bauer wird darin an- geblich von einem Baume erschlagen und vom- Knechte heimgebracht. Welche Quelle dies war, ist mir bis jetzt nicht zu ermitteln gelungen. In der 23. Novelle des H. Morlini „De viro qui uxoris fidem periclüatw est11 eine Bearbeitung des Stoffes, die Oesterley in seinen Nachweisen p. 490 übersehen hat fragt der Mann sein Weib: „Si casu mihi, te superstite, mori contigerit, quem amictum ac tegmen me ad sepulcrum euntem indues?" worauf sie erwidert: „Per deum fidium , meliorem ac pretiosiorem induam." Als es dazu kommt, will sie ihn in einem Fischernetz begraben lassen. Hatten Sachs und Morlini eine gemeinsame Quelle?

61. Das wainent huentlein. Quelle: Steinhöwelsüsop, und zwar die elfte aus Petrus Alphon- sus (XIV.) entlehnte Geschichte: „Von dem alten wyb und dem wainenden hündlin" (Oesterleys Ausgabe, S. 324 ff.). Eine nicht unerhebliche Anzahl von wörtlich entlehnten Sätzen stellen dies außer Zweifel. Man vergleiche:

Äsop: Sachs, V. 100:

daz er in schwäre krankhait Pin auch gefalln in schwer krankheit.

fiele. Nit dester minder stuond er alle Doch ich all tag nit lassen kon. tag also kranker uff von synem bett Ich mües aufs wengst ein mal aufston und ginge für daz hus syner Heb- Vnd gen vur fraw Pawlina haus,

gehabten frowen.

V. 184/85:

dar von daz hündlin zehern Darfon das huntlein zehern thwe,

ward als ob es wainet. Sam ob es hart trawer vnd wein.

V. 240 ff.:

O liebste fründin, ich bit dich, du 0 herzliebste Freundin ob allen,

wollest mir myn großes l:\id und Es ist mein aller huchste pit,

schmerczen nit emüwern mit dyner Ir wollet mir vernewen nit

frage warumb dicz myn liebstes hünd- Mein inicliches herzenlaid.

lin alle zyt waine .... Zw geben von dein hüntlein pschaid,

Warumb es also trawrig wain.

War diese Novelle nun des Meisters einzige Quelle? Man sollte es glauben; denn die meisten Abweichungen, welche seine Fabel

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 43

bietet, so z. B. der Abschied des Ehepaares zu Anfang des Stückes, der Umstand, daß der Liebhaber auf dem Wege zur Kirche der schönen Strohwitwe begegnet, die Wallfahrt nach dem heiligen Lande (statt nach Rom), die die Sprödigkeit strafende Göttin Venus (statt des Steinhöwel'schen „die göttu), die Schlußrede der „Kuplerin" und endlich die italienischen Namen, das sind Zuthaten und Änderungen, wie wir sie oft bei Sachs linden. Schwerer ins Gewicht fällt, daß dieser in zwei Punkten mit den lateinischen Gesta Romanorum ( Nr. 28) übereinstimmt. Die zweitägige Fastenzeit des Hündchens (statt drei Tage bei Petr. Alph.) und die Idee nahen Todes bei dem Liebhaber (s. V. 109 u. 120). Doch kann in beiden Fällen auch Steinhöwel die Anregung gegeben haben: Was das letztere betrifft, so sagt die junge Frau bei St. zur Kupplerin: „ein iüngling hat myner lieby so ynbrünstiglich begeret, daz er mainet sterben müssen etc.u und bezüglich des ersteren mochte Sachs Steinhöwels Worte „das ließe sie uncz an den dritten tag ungeeßen" so auffassen, daß das Hündchen nur zwei Tage fastete.

Die italienischen Namen des deutschen Fastnachtspiels, welche F. W. V. Schmidt und nach ihm Goetze (Keller-Goetze, Hans Sachs, Band 17, p. 112) zu der irrigen Annahme verführten, daß des Nürnbergers Bearbeitung auf ein italienisches Vorbild hindeute, finden sich fast alle in Boccaccio „Cento Novella" Philipp (IX, 5), Balbano (V, 4) (Balbona), Felix (III, 4) und Spini (II, 6) (Mala spini).

Über den weitverbreiteten, aus Indien stammenden Stoff ver- gleiche man F. W. V. Schmidt zu Discipl. Clericalis, Petri Alphonsi, p. 129—134 (Berlin 1827), Keller, Li Romans des Sept Sages (Tüb. 1836), besonders aber Walther Eisners gründliche Untersuchung in M. Kochs Zs. f. vergl. Litt.-Gesch. Bd. I, p. 221—261.

62. Deraltwol erzawstpuelermit seiner zauberey. Es ist merkwürdig, daß man bis jetzt die Quelle dieses Fast- nachtspiels nicht angegeben hat, obwohl der Dichter in einem Meister- gesang vom 10. März 1548 „Drey maier malten auf eim schlos" sie ziemlich deutlich verrieth , jedenfalls deutlicher als in dem völlig localisierten Fastnachtspiel und in einem weiteren Meistergesang vom 27. Februar 1555. Es ist in allen dreien eine von den wohlbekannten Calandrino-No vellen (Boccaccio IX, 5: „Calandrino s'innamora d'una giovane, al quäle Bruno fa un brieve col quäle come egli la tocca. ella va con lui, e dalla moglie trovato, ha gravissima e uojosa. quistione".

44 A. L. STIEFEL

Ganz wie in dem älteren Fastnachtspiel nach gleicher Quelle „Der gestolen Pachen" (s. oben Nr. 41) hat hier Sachs aus den florentinischen Künstlern mit großem Geschicke Bauern gemacht. Calandrino wurde zum Eberlein Dildapp, Bruno zu VI la Läpp, Philippo zu Hain cz wirt der nicht auftritt und nur mehrere Male genannt wird Nicolosa zu des Wirthes Weib Hilgart, und Calandrino's Ehehälfte (Tessa) zur Angnes Dildeppin; die übrigen Personen blieben fort. Damit kam der ganze Anfang der italienischen Novelle und, sehr zum Vortheil des Stückes, das unsittliche Ver- hältniß zwischen Philippo und Niccolosa in Wegfall. Es ist also nicht „una femina", sondern eine ehrbare Wirthin, die das Herz des alten Bauern zur Liebe entflammt. Sachs versetzt uns geschickt in medias res. Der „alt pueler" Eberlein Dildapp trifft mit Vlla Läpp (Bruno) zusammen, wobei er „stetigs sewftzt", so daß ihn der Letztere, wie Bruno den Calandrin, nach dem Grunde fragt. E. Dildapp in seiner Antwort zeigt, wie sehr er sich Calandrin zum Muster genommen hat. Er verliebt sich in die Wirthin, als sie „ir fues wusch"; bei Boccaccio Cento Nov. wäscht sich Niccolosa „ire hende vnd angesichte". Vlla erbietet sich alsbald, wie Bruno, zum Vermittler. Während aber der letztere seine Gesellen Buffelmacho und Nello und selbst den Philippo ins Geheimniß zieht, unterrichtet der Bauer Vlla nur die Wirthiu und verabredet mit ihr allein die Bestrafung des alten Narren. Das hier- her gehörige Gespräch ist ganz Eigenthum des deutschen Dichters. Dagegen lehnt er sich ziemlich getreu wieder an seine Quelle in der Scene, in welcher Vlla Läpp dem Verliebten von dem Erfolg seiner Bemühungen Bericht erstattet. E. Dildapp spricht, gleich Calandrin, von der Macht seines Geigenspiels:

V. 126: Vnd wen sie den gehuret het

Mein fidel, wen ich drein det singen, Ich main, ich wolz erst machen springen.

Bei Steinhöwel ist zu lesen (Kellers Ausg. p. 565) :

Aber sechest du mich mit meiner fidein, so würstu erst wunder von mir sagen vnd neues spile sechen.

Von den Briefen, die Niccolosa dem alten „pueler" schrieb, hat Sachs keinen Gebrauch gemacht, schon deshalb nicht, weil bei ihm die Hand- lung rasch verläuft (innerhalb weniger Tage), während sie sich in der Novelle mehrere Monate hinauszieht, innerhalb welcher Zeit die Dirne wiederholt abwesend ist.

Das Ständchen, das Sachs den Liebhaber bringen läßt (V. 161 und 178 ff.), findet sich nicht bei Boccaccio. Hingegen geht der Vorschlag

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SÄCHSISCHEN DRAMEN. 45

Vllas, Zauberei in Anwendung zu bringen, damit Eberlein schnell seine verliebte Absicht erreiche, ganz auf Boccaccio zurück. Man halte Vorbild und Nachahmung zusammen (Sachs V. 22G ff. , Bocc. 1. c.) :

Vlla Läpp. Bruno sprach pistu so beherczent

daz du sy darfst anrüren mit einem

Pistw so ain peherzter mon priefflein das ich dir geben wil

Vnd darfst die wirtin rüeren on Calandrin sprach traun ia gar wol

Mit aim zettel den ich dir gieb, so ge hin vnd pringe mir ein wenig

neuer vngeporner karten vnd ein

lebendige fledermause vnnd drey kör-

E. Dildapp. oer weyrach vnd ein geweichtes Hecht

Mairst nicht, das ich so pherzet sey? oder kerczen vnd lasse mich machenn.

Vlla Läpp. Dazw must aber pringen dw, Das ich die zauberey zw rieht, Weirauch vnd ein geweicht Wachslicht Vnd ain lebende fledermaus.

Vlla Läpp übernimmt nun die Rolle des Nello, er unterrichtet Angnes, Eberleins Weib, von dessen Treiben. Auch in dieser Scene wußte sich Sachs manche Züge nutzbar zu machen, doch ist er viel aus- führlicher als sein Vorbild. Angnes, eines jener zungenfertigen Weiber, wie sie uns Sachs so lebenswahr schildert, gibt sich natürlich nicht mit den wenigen Worten Tessas zufrieden. Um so kürzer ist bei Sachs das Stelldichein gehalten , das ebenfalls auf Boccaccio beruht. Nur in kleinen, aber wohlbegründeten Zügen weicht der Meister ab. So vermummt sich die Wirthin, um nicht erkannt zu werden, ist ihr doch an ihrem guten Namen gelegen; ferner läßt sie sich nicht in Liebkosungen ein, wie Niccolosa, die in bedenklicher Stellung von Calandrinos Weib betroffen wird. Sonst geht die Nachahmung so weit, daß z. B. außer Vlla auch der Wirth, der gar nicht auftritt, gleich Philippo die Vorgänge belauscht (s. V. 344).

Zum Schluß übt Sachs, von Boccaccio wiederum sich entfernend, poetische Gerechtigkeit. Als Vlla Läpp, die Rolle der beiden lustigen Gesellen (Bruno und Buffelm.) übernehmend, zwischen Mann und Frau Frieden zu stiften versucht, und, nach vergeblichem Bemühen, Angnes erinnert „Dw wärest auch nit alzeit rain", so hält ihm das wiithende Weib vor, daß auch er sich des gleichen Vergehens schuldig gemacht habe, und jagt ihn mit Hieben davon. Sachs kommt auf seine schon so oft zum Ausdruck gebrachte Anschauung zurück, daß mit der sittlichen Fäulniß der einen Ehehälfte meist die der anderen Hand in Hand geht, und daß der Spötter nicht besser als der Verspottete ist.

46

A. L. STIEFEL

Man lese die Fastnachtspiele Nr. 10, IT». 21, 38.) Bezeichnend ist es, dal.» Sachs derartige Geschichten immer unter Bauern spielen läßt.

Auch in den letzten Scenen ergeben sich viele sprachliche Be- rührungen zwischen Sachs und „Cento Novella", so z. B. :

Sachs, V. 366: Tch kan mir dein nit genug sehen, Dein angsicht lewcht wie die clar

sun, Macht mir im heizen frewd vnd wun.

Cento Nov. : lasse mich dich vor ein ge- nügen ansehen vnd mich deines süssen angesicht meiner äugen erfüllen.

V. 389: 0 mein Angnes, schrey nit so lawt! Es wur mir sunst gelten mein hawt. Mein leben ich gewis verlüer, Wens der wirt hurt vnd inen wuer.

er auch auf stunde diemütig-

lich das weyb pate das sy nit so laut

schrie, wölt sy anders das er nicht zu

stücken geslagen würde, Dann die

frawe die sie pey im gefunden het

des hern von dem hauß weybe were.

Im Ganzen verfuhr der Meister noch ziemlich selbständig in

diesem gelungenen Schwank. Die Charaktere treten viel stärker als

im Original hervor; die Frauen besonders haben viel prägnantere

Züge, einen weitaus größeren Spielraum.

Die Sprache ist sehr derb. Es scheint, der Dichter schreckte, nur um recht lebenswahr zu sein, auch vor den stärksten Ausdrücken nicht zurück.

63. Die wunderlichen man gschlagt zw machen. Quelle: Pauli, Nr. 135. Über Verbreitung des Stoffes siehe Oesterley zu Pauli p. 489. Sachs verdankt seiner Quelle nur die nackte Fabel und einige Sätze, wie z. B.:

Sachs, V. 291: Pauli (ed. Oesterley p. 99):

Göttin Alraun, ich rueff dich an O alrun ich rüff dich an, das da

Hilff tugenthaft machen mein man ! meinen man tugenthafft machst.

V. 294: Erstlich sey deinem man ghorsam ! Zumb andren, schickt dein man dich aus So knmb pald widerum zw haus!

gang heim vnd bisz deinem man gehorsam vnd vnd war du gast so kum bald wider.

Der ganze Dialog und viele Züge der Handlung sind sein Eigen- thum. Was letztere betrifft, so macht z. B. Sachs 1. aus Paulis „alt fraw" eine ..alt vnhueld", was um so wunderlicher erscheint, als dieser Charakter bei ihm sonst nur als Anstifterin alles Bösen, als schlimmer noch denn der Teufel auftritt; 2. die Frau trägt bei ihm alle Schuld an dem Verhalten des Mannes (V. 185/86); 3. die Alte befragt erst einen „gaist", ehe sie Antwort ertheilt; 4. statt der drei Stücke Speck

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 47

verwendet Sachs drei Thaler, „ein geweichtes Wachslicht" u. s. w. zu dem Zauber, welcher 5. nicht im Hanfacker, sondern an einer Weg- scheide stattfindet; 6. der macaronische Zauberspruch ist seine Zu- that; 7. die „Göttin Alraun" ertheilt der Frau noch einen dritten Rath1) u. dgl. m.

64. Der los man mit dem muncketen jungen weib. Quelle: Pauli (Straßburger Ausgabe 1535, Nr. 124; Oesterley, Anh. 22, p. 406/07). Die gleiche Fabel ist auch im Meistergesang vom 13. December 1547 bearbeitet (s. Goedeke, Dichtungen des H. Sachs I, p. 251]. Die Quelle wurde dort bereits von Goedeke nachgewiesen.

Während Sachs im Meistergesang sich ziemlich genau an Pauli anschloß, so hat er in dem Spiel mit der Fabel sehr erhebliche und durchaus nicht vortheilhafte Veränderungen vorgenommen. Dort (bei Pauli und im Meistergesang) ist der Mann ein Meßner und hat für sein häufiges Wegbleiben vom Hause genügende Entschuldigung, da er als „guter musicus" „vil zu geselschafft berafft ward", auch hält er seine Frau gut, „ließ jr das sie auch wol zu leben het" ; hier ist er ein Handwerksmann, der nicht gerne arbeitet, „den ertag zumb montag" feiert, kurz, die Haushaltung ruiniert. Ist dort die störrische Frau im Unrecht und ihre Strafe am Platze, so hat hier ihr Zank dem Bruder Liederlich gegenüber vollkommene Berechtigung. Die Züchtigung der energisch die Interessen ihrer Familie („der kleinen kinder hauffen Parfues vnd wol halb nackat lauffen") verteidigenden Ehehälfte wirkt daher empörend.

Das Spiel zeigt uns, nach einem kurzen Monolog des jungen Weibes, das Ehepaar im Hader. Nachdem der „los man" ins Wirthshaus gegangen, erscheint ihre „mueter" und macht ihr Vorstellungen. Diese Figur, wofür S. bei Pauli keinen Anhaltspunkt fand, ist offenbar unter dem Einfluß von Fastnachtspiel Nr. 56 (s. oben) entstanden. Wir hören dann den liederlichen Mann mit einem „los zech gesell'' (Pauli: „zween gut gesellen") im Wirthshaus. Nun folgt erst die Fabel aus Pauli. Bei diesem schickt der Mann die Gesellen nach dem unfreundlichen Empfang seitens des „muncketen" Weibes gleich wieder fort; bei Sachs bleibt der „gesell", gibt dem Manne die mit der Frau vorzunehmende Kur an bei P. verfällt der Mann selbst darauf , sieht sich die

') Hierin wurde S. von Val. Schuhmann (NcicJitLvcJilein II, 28) in einer sehr breiten Erzählung über den gleichen Gegenstand nachgeahmt.

48 L- A. STIEFEL

Züchtigung an und schleicht aus, als „die Schwiger" ins Haus kommt. Letztere schließt mit freundlichen, versöhnenden Worten das Stück.

Der Dialog ist fast ganz Eigenthum des Dichters. Das Stück gehört übrigens zu seinen schwächsten Leistungen.

Auf die Umgestaltung des Stoffes im Fastnachtspiel scheint Pauli Nr. 205 nicht ohne Einfluß geblieben zu sein. Diese Erzählung, welche Sachs 1556 zu einem Schwank „Der lose Mann" (FL Sachs I, 523) ausarbeitete, der sich im ersten Theil unserem Spiele, nähert, führt uns einen jener „büben" vor, „die tag vnd nacht in dem wirtshuß sitzen zuspilen vnd wein züsuffen vnd wollen nichtz thun".

65. Der pfarrer mit sein eprecher pawern.

Die Quelle dieses auch als Meistergesang (1544) und Schwank (1557) *) behandelten Spiels ist mir noch nicht zu finden gelungen. Sachs nähert sich im Schwanke zwar B. Waldis' Äsop IV, 98 „Wie ein Dorfpfaff die Bawrn strafft" ; da jedoch die erste Ausgabe des letzteren erst 1548 erschien, so kann jener die Fabel nicht daraus kennen gelernt haben. Doch dürften beide aus einer und derselben Quelle geschöpft haben. Eine Vergleichung zwischen Fabel und Schwank läßt so ziemlich erkennen, was diese enthalten hat.

Ihnen gegenüber zeigt das Spiel sehr charakteristische Ände- rungen und Zusätze. So die gegenseitigen Vorwürfe der drei Bauern zu Anfang des Stückes, die Drohung des Geistlichen (V. 135 ff.) und überhaupt von da an alles bis zum Schluß. Die Charaktere der Bauern und des Pfaffen sind ganz und gar Eigenthum unseres Dichters. Beachtenswerth ist, daß auch hier, wie so oft bei Sachs, der Strafende nicht besser als die Bestraften, der Hirt nicht anders als seine Herde ist. Aus der lustigen Anekdote hat S. ein unerquickliches, aber lebens- wahres Sittenbild aus dem Dorfleben seiner Zeit entwickelt.

66. Der kremer korb.

Die Fabel findet sich auch in Montanus 'Wegkwrzer, Nr. 23 (abgedr. bei Goedeke „Schwanke des 16. Jahrhunderts", p. 52, und Scheible, 'Schaltjahr I, p. 376) doch kann dieser erst 1557 1558 ge- druckte Schwank nicht die Quelle des Nürnbergers sein, umsomehr, als dieser den Stoff schon 1543 als Meistergesang (1550 zu einem zweiten Meistergesang) verarbeitet hatte. Eine ähnliche Erzählung entsinne ich mich übrigens auch in der älteren französischen Novellistik gelesen zu haben, doch ist mir leider das Nähere hierüber entfallen.

') Nach E. Goetze, Fastnachtsp. VI, p. VI, wurde er schon 1544, nur zwei Tage später, als der Meistergesang, gedichtet.

&BEB DIE QUELLEN DER HANS SÄCHSISCHEN DRAMEN. 49

67. Sanct Petter leczet sich mit sein Freunden vnden auf erden. Der Stoff, schon 1546 als Meistergesang behandelt, ist wohl mündlich dem Dichter bekannt geworden.

15S. Der kampff fraw Armuet mit fraw Glueck.

Quelle: Boccaccio, De casibus virorum illustrium in der unten beschriebenen Übersetzung '), fol. 57 u. 58.

Schon mehr als neun Jahre früher, am 7. Mai 1545, also wenige Wochen , nachdem das ihm als Vorlage dienende Buch die Presse verlassen, hatte Sachs denselben Gegenstand als Gespräch: „Ein Kampff zwischen Fraic Armut vnd Fraio Glück" und so ziemlich in derselben Zeit als Meistergesang (s. Goetze, Fastnachtsp. VI. Bd., p. IX) be- handelt. Man sieht, mit welchem Eifer sich der wissensdurstige Meister auf jede neue Erscheinung des Buchhandels stürzte und wie rasch ei- serne Leetüre in Dichtungen umsetzte. In dem Gespräch, worin er selbst „Bocatius" ohne nähere Bezeichnung als Quelle nennt, schließt er sich vielfach wörtlich, aber mit Kürzungen dem Gang seines Vorbildes an; jedoch ist der moralische „Beschluß" fast ganz sein Eigenthum.

Im Fastnachtspiel hat Sachs den weitaus größten Theil der Verse des Gesprächs fast unverändert mit herübergenommen, nur die ein- leitenden, dann die den Dialog unterbrechenden erzählenden Verse blieben weg. Das Spiel bietet aber dem Gespräch gegenüber Zusätze. So eröffnet eine Reininiscenz aus des Dichters zweitem und achtem Fastnachtspiel der „trew Eckhart" die Handlung; die Verse 21 48, 66 70, 132 155 u. s. w. sind neu hinzugefügt. Aber so wie die aus dem Gespräch wiederholten Verse, so sind auch die neuen oft wörtlich aus Boccaccio geborgt, z. B.:

') Fvrneiüste Historien vnd exempel von widerwertigem Gluck | mereklichem vnd erschrocklichem vnfahl | erbarmklichen verderben vnd sterben, groß mächtiger Kayser | König | Fürsten vnnd anderer namhafftiger Herrn | In neyn Büchern | durch den t'iirti etlichen hochherumte Historischreiber vnd Poeten Joannem Boccatium von Certaldo | in Latein beschriben | darauß ein jeder die trubsäligen schnellen zergängk- licheyt menschlichs lebens | gleich augenscheinlich warneir.en | vn sich durch tugendt daruor verhüten mag | Jetzt zum aller ersten von Hieronymo Ziegler fleyssig ver- teytscht. Titelbild Getruckt zu Augspurg durch Hainrich Stainer | vnd mit sonderlicher Keyserlicher freyheyt nit nachzutrucken Privilegirt. Anno MDXLV. Fol. 6 nicht foliierte und 250 foliierte Blätter. Am Ende: Gedruckt vnnd vollende ... in kosten vnd Verlegung des Erbarn Lenhardt Purthenbachs Buchfurer daselbst den xxvij tag Februar ii im jar MDXLV.

GERMANIA. Nene Reihe XXIV. (XXXVI.) Jahrg. 4

50 A. L. STIEFEL

Sachs, V. 132: Bocc., fol. 57b:

Sag her! wie wilt kempfen mit mir? inn was gestalt du daptfere

Im hämisch, zv ros oder fue.s? feyne kempferin wiltu mit mir streiten

Das selb ich von dir wissen müs, vn dein sterck | dern du dich hemmst

Das ich mich darzw rüesten kon. an mir beweisen. Von stund an ant-

wort die Armut. Ich hab kain tart-

Fraw Armüet spricht: sehen noch handboge | auch kein

Fraw Glüeck, wis von mir, das ich hon hälmlin | weder hämisch noch andere

Weder schilt, hämisch oder pfert, ^eer auch kain kyriß Roß. Ich will

Weder spies, Streitaxt oder schwert! aber mit dir z" fuß kempffen | darzu

Sünder mit dir ich kempfen mües bin ich gewapnet vnd gerüst, etc. Mit plosem leib also zw fües etc.

V. 192: fol. 58b:

Aber dein andern posen dail, Das du hinfür das vnglück frey

Nemlich das vnglueck vnd vnfal, offendtlich vor allen menschen an

Den pint an diesen aichen pfal ainen pfal bindest. | vnd also kretftig

Vor iderman auf freye stras mit gutten Ketten verwarest, etc. Verknuepf vnd pewars dester pas Mit ketten vnd mit newen stricken, etc.

Von Vers 207 an entfernt sich Sachs sowohl von Bocc. als von seinem eigenen Gespräch. „Fraw Glueck" bindet die Symbole der einzelnen Laster je einzeln an den „pfal" und spricht dabei jedesmal ein paar Verse. Nachdem sich die Armuth entfernt, erscheinen der Reihe nach „der pueler", „der kriegsman", „der Drincker", und da das Glück sich weigert, ihnen die verlangten Gaben zu verabreichen, so lösen sie selbst die Symbole los. Später erscheinen sie wieder, um ihr Elend zu klagen. Der trew Eckhart schließt das Stück. Seine Worte (von V. 413—456) sind mit kleinen Abweichungen eine Wieder- holung des „Beschlusses" aus dem Gespräch.

Der letzte Theil des Spiels erinnert einigermaßen an das vorhin erwähnte zweite Fastnachtspiel des Dichters, wie denn dieser mit dem vorliegenden Stück zu der allegorischen Manier seiner ersten Stücke zurückging.

69. Der plint messner mit dem pfarer vnd seim weib. Der bereits 1549 als Meistergesang behandelte Stoff ist wahr- scheinlich romanischen Ursprungs. Die Quelle des Dichters habe ich ebensowenig finden können, als die von

70. Der dot im stock.

Dieses Stück ist von Sachs (am 20. Januar 1547) auch als ! Meistergesang behandelt worden. Goedeke druckte den letzteren ab (H. Sachs 1, p. 225 ff.) und gab dabei einige Nachweise über Ver

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breitung des Stoffes. Von den mir bekannt gewordenen Versionen hat C haue er s Pardoners Tale noch die meiste Ähnlichkeit mit Sachs. Wir haben hier und dort ein Gespräch der drei zügellosen Burschen (bei Sachs Räuber1 mit einem Alten, den sie bedrohen und der sie auf den Baum (stock) aufmerksam macht, woselbst der Tod verborgen sei. Sie eilen dahin und linden den Schatz, der in Goldgulden besteht. Alsbald losen sie. wer in die Stadt gehen soll, um Speise und Trank zu besorgen. Die Form des Loses ist bei Chaucer und Sachs ver- schieden, dagegen der weitere Verlauf der Handlung so ziemlich der gleiche. Sachs hat also gewiß eine Quelle benützt, die derjenigen des Engländers sehr nahe stand. Vielleicht eines der zahllosen mittel- alterlichen Predigtbücher, die bekanntlich die Fundgruben der Erzähler noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts bildeten.

Was der Meister selbst hinzugethan, läßt sich leicht ausscheiden: dahin gehören die neu testamen tli ch en Namen Barrabas, Dismas und Jesmas, der merkwürdige, aus gleicher Quelle entlehnte Zug, daß der eine der drei Mörder (Jesmas), ganz wie der gute Schacher, halb und halb Reue fühlt, die Verwandlung des alten Mannes in einen „waltpruder", und endlich der den Prolog und Epilog sprechende Engel. Die beiden letzten Umstände erinnern an II. Sachsens Co media 'der Waldbruder vom heimlichen gericlit Gottes . Wenn dieses Stück auch später als unser Spiel geschrieben ist, so beschäftigte doch der Gegen- stand den Dichter schon 1539; eine Einwirkung ist daher wahr- scheinlich.

71. Zwaier philosophi disputacio ob peser h a y raten sey etc.

Bereits am 21. Februar 1542 hatte Sachs den Stoff zu einem Meistergesang ausgearbeitet. Goedeke, der den letzteren abdruckte (I, p. 131— 133) hat als Quelle Plutarch- Bon er (Kolmar 1541 , fol. Bl. 47) angegeben. Mir fehlt die Boner'sche Übersetzung. Nach dem mir vorliegenden griechischen Text (Solon, Cap. 6 7) zu schließen, hielt sich Sachs im Meistergesang getreu an sein Vorbild. Zweifelhaft blieb mir, ob schon Boner uvöqk ^svov mit „pilgram" wiedergab, oder ob diese Bezeichnung erst von Sachs herrührt.

Freier verfuhr Sachs in dem Spiele. In den 13 Jahren, die zwischen Meistergesang und Fastnachtspiel liegen, hatten sich seine Kenntnisse des Alterthums bedeutend erweitert. Man sieht dies deutlich hier. Thaies tritt mit einer „sphera celi" auf und wird als Astronom ge- schildert: „Solch künst die ich in Egipten hab erfarn" ;

4*

52 A. L. STIEFEL

vSolon wird als Gesetzgeber der „kriechischen stat Athen" gepriesen, und es werden seine Reisen erwähnt (V. 51 56); ferner ist von den „göttern" die Rede (V. 69, 263, 315, 341) u. s. w. Daneben stoßen wir freilich auf naive Fehler und Anachronismen: Thaies citiert Plato (V. 121), „Chilon, der weis" erscheint als Athener, „der Minister der disippl" (der pilgram des Meistergesangs) muß sich als „Waltprueder" (eigentlich Walprueder") verkleiden, die „leich" des Jünglings wurde „gen kirchen" getragen und während der „procesion" hörte man „aller glocken thön" u. s. w.

Nicht ohne Einfluß auf das Spiel waren Albrecht vonEybes Büchlein „06 eim manne sey zu nemen ein elichs toeyb oder nüu, und Nie. v. Wyles sechste Translation „06 einem alten man gepüre ein eheioeyb zu nemen etc." Beide Bücher waren Sachs wohl bekannt. Von letzterem sahen wir ihn bereits bei seinem ersten Fastnachtspiel (s. oben Nr. 1) Gebrauch machen, und aus ersterem schöpfte er u. A. die Komödie nDie schön Marina mit dem Doctor l)aymanou (1556) und das Spruchgedicht Ob einem Weisen Mann ein Weib zu nemen sey oder nitu (vom 25. Mai 1563?). Vielleicht hat Sachs auch Seb. Franc ks „Siben weisen aus Grecia" benützt.

72. Ewlenspiegel mit dem pelcz waschen.

Die ausschließliche Quelle des Dichters ist das Volksbuch, 30. Hist., der sich H. Sachs in der Hauptsache anschloß ; doch sind natür- lich bei ihm die Dinge mehr ausgeführt und außerdem kleine Ände- rungen und Zusätze angebracht. Gleich der Monolog der Wirthin, womit das Stück beginnt, ist von Sachs ; von dem langen Gespräche zwischen ihr und dem Abenteurer ist nur der Anfang aus dem Volksbuch, das Übrige wie ihn die Wirthin nach seinem Stande ausfragt etc. seine Zuthat. Ebenso sind die Reden der verschiedenen , ihre Pelze herbeibringenden Frauen, der Zauberspruch Eulenspiegels über die Pelze u. s. w., sowie der ganze Dialog von ihm. Kleine Änderungen sind z. B., daß die Wirthin einäugig statt „scheel" ist, daß es nur ein Kessel ist statt drei, und daß die Frauen (und nicht ihre Kinder) die Worte: „Gut new pelz" (und dazu um den Kessel tanzend) singen. Ein sonderbarer Gedanke war es, daß S. den aus guten Gründen entflohenen Schalksnarren wiederkehren läßt, um das Stück zu schließen.

73. Der knab Lucius Papirius Cursor.

Über diesen vielverbreiteten, interessanten Stoff gedenke ich mich anderwärts ausführlicher zu äußern; deshalb beschränke ich mich hier auf das Nöthigste.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 53

Schon 1545 und dann noch einmal später hatte S. die Fabel als Meistergesang behandelt (s. Goetze VI. p. XID und in einem derselben Plutarchus als Quelle angegeben. Allein weder dessen ßCot naQal- lr\kot noch dessen 6vyyQd^^ata juxt« scheinen, wie sich mir bei vielem Suchen ergab, etwas von der Fabel zu enthalten. Sollte sich S. hier geirrt haben? In dem Spiel nennt er Macrobius als Quelle; doch hat er diesen damals noch nicht übersetzten Autor gewiß nie gelesen. Weiter unten wird sich zeigen, wie er zu dem Namen kam. Mir sind die beiden Meistergesänge nicht zugänglich gewesen , ich bin daher außer Stande, zu sagen, wie sich der Stoff unter den Händen unseres Dichters entwickelt. Hier in dem Spiele trafen die verschiedensten Einflüsse zusammen. Sachs benützte vor Allem Pauli, Nr. 392. Einige sprachliche Berührungen lassen dies als sicher erscheinen:

Pauly (Oesterley, p. 239): Sachs, V. 24 ff.:

Vff ein tag hetten die Römer len- Mein herr ist hewt lang in dem rat

ger rat dan gewonheit was, das eins Was man halt fuer ain handel hat?

herren fraw vbel verlangt, wan der Ist wol ein stünt ueber die zeit,

her kern zu dem imbisz, vnd het gern Mein essen das ist langst pereit.

gewißt was sie doch so lang handelten. Sie handien gar ein schwere sach.

Die müter macht ein ruten vnd #/e »»Meter kümpt, pringt ein grose wolt dem knaben abtröwen, er solt ir ruetn md spricht (V. 74):

sagen , was sie in dem rat so lang Hör, Luci, wiltw noch nit sagen

gehandelt hetten. Was heut der senat thet ratschlagen.

Ob Sachs Boner 8 Edelstein (Nr. 97) benützt hat, läßt sich mit Bestimmtheit nicht behaupten. Manche Stellen nähern sich diesem allerdings, und bei der Verbreitung dieses Buches in jener Zeit ist es immerhin möglich, daß auch diese Version Sachs vorlag.

Eine von Oesterley in seinen Nachweisen zu Pauly 392 (S. 517) vergessene Bearbeitung findet sich im Ritter vom Thurn (Ausg. Cammerlander, Straßburg 1538), fol. 32b: „Wie Papirius seiner mütter nit offenbaren wollt, was im Rath verhandlet wer worden." Diese sehr kurze Erzählung scheint S. gekannt zu haben. So verweist der Ritter auf Macrobius, was den Meister allem Anschein nach zu seiner Quellenangabe am Anfange des Spiels veranlaßte. Ferner ähneln meh- rere Stellen bei beiden, so z. B. :

Ritter v. Th.: Sachs, V. 51:

Es zimt sich nit dir zu wissen, ich darffs nit thon das gebotten heimlich zu sein. Weil das gepotten ist zv schweigen.

54 A. L. STIEFEL

Ritter v. Th.: V. 62:

da der jung sähe, das er der leb will der mueter ein anders sagen.

mütter eyn genügen müßt tluui | er- dachte er ein anders.

Vielleicht boten ihm auch A gri co 1 as „Sprichwörter" und die Schwank- sammlung „Scherz mit der Warheyt" die mir beide nicht zur Hand sind einzelne Züge.

Wichtig war ferner für die Gestaltung des Spiels Titus Livius. Die Bekanntschaft unseres Dichters mit diesem Historiker verführte ihn offenbar, Papirius Praetextatus (s. Gellius Noctes Att. I, 23) mit dem berühmten Lucius Papirius Cursor . dem Zeitgenossen des Titus Maulius und Furius Camillus, zu verwechseln. Diese beiden erscheinen daher als die Vertreter des Senats in der Aufruhrscene. Daß S. chronologisch ungenau ist und gleich wieder Titus Manlius als Senator über den Abfall der Latiner (386 v. Chr.) mitberathen läßt, darf man ihm nicht anrechnen.

Endlich ist noch eines recht seltsamen Einflusses zu gedenken. Bekanntlich ging die Geschichte auch in das Volksbuch von Salo- mon und Marholf über. Schon am 6. März 1550 hatte Sachs sie nach dieser Quelle ziemlich getreu und vielfach wörtlich in seine Comedi „das Juditium Salomonis" aufgenommen. Fast die ganze Scene, welche dort den Actus V bildet, nahm er nun mit kleinen Änderungen in das Spiel herüber. Man vergleiche mit dem älteren Stücke die Verse 206 bis 275 des Fastnachtspiels. Zur Illustration des Verfahrens setze ich einige Verse hierher:

Judit. Salom. (Kell.-G. VI, p. 133): Fastnacbtsp. 255 ff.:

Das ists | vnd das ein ieder mann Das is, vnd das ein ider mou

Forthin sol sieben Weiber habn Forthin sol zway eweiber haben

Wer sind doch, die solchen rath dir Wer sint, die solchen rat ie gaben gabn, Das doch ist wider mendlich macht

Das doch ist wider mannlich macht? Wo hat ein senat hin gedacht. 0 könig, wo hast nur bin gedacht?

Bezüglich der Bearbeitung des Stoffes durch L. Culman, die dem Stücke des Meisters vorausging, behauptet E. Goetze (1. c), daß von einer Anlehnung unseres Dichters an seinen Zeit- und Stadtgenossen nichts zu merken sei. Ich habe das ältere Drama, das nach dem Titel auf Gellius zurückgeht, nicht gesehen. Entgangen ist E. Goetze eine niederdeutsche Bearbeitung vom Jahre 1551 (siehe Keller, Fastnachtspiele p. 1474, Nachträge p. 335).

ÜBER DTE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 55

74. Die frumb schwiger kupelt ir dochter.

E. Goetze hat von diesem zuerst durch ihn veröffentlichten Spiel bereits zwei Quellen angegeben1), nämlich Steinhöwels Asop (die 14. Erzählung aus Alphonsus Disc. Clericalis) ed. Oesterley p. 331 „Von dem alten icyb mit dem lynlach" und (die 1. Erzählung aus Poggio) p. 336 „Von de)' froicen und ierem mann in dem dubhus". Was die dritte Erzählung betrifft H. Sachs verwebte hier nämlich drei Ge- schichten — so ist sie von ihm, wie die beiden anderen, auch als Gedicht, und zwar als Meistergesang (1549) und als Spruchgedicht (1550) behandelt worden, „die gertnerin mit dem pock", beide abgedr. bei Seh weit zer p. 438 441. Den Stoff fand ich in J. Gas tii (Brisa- censis) „Tomo Secundo Convivalium Sermonum" a) } p. 100. Die Geschichte wird hier unter der Spitzmarke „de adultera" als eine wahre erzählt. Scene: Brügge. Zeit: 1518 (ante annos triginta). Hier ist eine junge Frau mit einem Alten (cum sene) verheiratet und liebt einen Jüng- ling „cuius aetas suae par esset". Der Mann verreist einst, und die Liebenden kommen zusammen. Als der Alte plötzlich heimkehrt, springt der Jüngling in die offene Getreidekammer und schließt die Thüre hinter sich. Der Mann bemerkt es, verstellt sich aber, und unter dem Vorwand, daß er kürzlich seinen Bock darin Getreide fressen gesehen habe, schließt er von außen ab und holt die Ver- wandten der Frau. Dieser letzteren jedoch war es indeß , unterstützt von einer „anus domestica", gelungen, den Liebsten zu entfernen und den Bock an die Stelle zu thun. Der mit den Verwandten eintreffende Alte ist natürlich der Gefoppte. Der gute Greis bittet fußfällig sein Weib um Verzeihung und verspricht ,,omni eultu et indulgentia se satisfacturum uxori". „ita sene eluso" so schließt die Erzäh- lung — „postea amoribus suis adolescens mulier liberius usa fuit". Gast bezeichnet als seine Quelle „Cam.i(, was vielleicht Camerarius (Joach.) bedeutet; es ist mir indeß noch nicht geglückt, ein Werk des letzteren , aus welchem jener Compilator hätte schöpfen können, ausfindig zu machen.

Darf man nun Gast oder seine Quelle für die directe Vorlage unseres Dichters halten? Diese Frage ist nicht leicht zu entscheiden; denn Sachs weicht in einigen nicht unerheblichen Punkten von der

') Fastnaehtsp. VI, p. XII/XIII.

5) Tomus Secundus Convivalium Sermonum, partim ex probatissiuiis historiographis, partim exemplis innumeris quae uostro seculo aeeiderunt, congestus, omnibus uerarum virtutum studiosis utilissimus. Nunc primum in lucem editus. Basilea MDXLVIII. 8°. Der tomus I scheint, nach dem Dedicatioussclneibeu, schon 1543 erschienen zu sein.

56 A. L. STIEFEL

lateinischen Erzählung ab. Geht man von seiner ältesten Bearbeitung, von dem Meistergesang aus, so sind folgende Änderungen zu ver- zeichnen. Der Mann ist von unbestimmtem Alter und ein Gärtner. Der Jüngling springt in den Garten, und die Frau ver- fällt auf die Ausrede mit dem Bock. Ein Zusatz ist, daß die Frau ihren Mann für verrückt erklärt und einen Zaubersegen über ihn spricht. Dagegen fehlt bei Sachs das Einschließen des Liebhabers und das Herbeirufen der Verwandten Züge , nebenbei bemerkt, welche auffallend mit der alten italienischen Komödie „La Cafandra" übereinstimmen. Im Spiel kehren alle Eigentümlichkeiten des Meister- gesangs wieder, nur ist der Mann, wie bei Gast, ein Greis und, wie in der ersten Erzählung aus Steinhöwel, ein Kaufmann. Erwägt man anderseits, daß Sachs Änderungen in dem Umfange, wie die eben angeführten, oft mit seinem Stoffe vornahm, daß der 2. Band der Convivales Sermones von 1548 und der Meistergesang vom 30. März 1549 datiert, so besteht immerhin so lange uns nicht eine näher- stehende Version bekannt ist die Möglichkeit, daß die lateinische Erzählung die Quelle des Meisters war. Manche Abweichungen würden sich dann durch seine mangelhaften Kenntnisse im Lateinischen er- klären. — Gast hat übrigens auch die Erzählung vom „mann in dem dubhus" (I, p. 109).

Mit richtigem Blick hat Sachs die nahe Verwandtschaft der drei Novellen erkannt und sie mit vielem Geschick zu einem, freilich moralisch bedenklichen , aber recht lustigen dramatischen Schwank verwebt.

Die mit der ersten Erzählung aus Steinhöwel identische Novelle im Ritter vom Thuri>, auf die E. Goetze (Fastnachtsp. VII, p. XVI) verweist, lieferte Sachs keine Züge, obwohl er sie ohne Zweifel kannte.

75. Der Neidhart mit dem feyhel.

Den gleichen Stoff behandelten schon zwei Fastnachtspiele bei Keller, Nr. 21 (I, p. 191) und Nr. 53 (I, p. 393), wovon das erstere gar keine, das zweite nur wenige sprachliche Berührungen mit Sachs bietet. Der Meister benützte gewiß das mir unerreichbar gebliebene alte Schwankbuch von Neidhart (vgl. Fr. H. v. d. Hagen, Minne- sänger IV, 441 und neuerdings E. Goetze, Fastnachtsp. VII, p. V und die dort erwähnte Literatur).

76. Der dewffel nam ain alt weib.

Einen Meistergesang über das Thema verfaßte Sachs 1556 und einen Schwank am 13. Juli 1557. In den beiden mir bekannten Dich- tungen — Spiel und Schwank ist die Fabel verschieden behandelt.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 57

Im Fastnachtspiel fährt der Teufel in den Leib von Juden, im Schwank dagegen das erste Mal in den Leib eines „Bürgers", das zweite Mal in den Leib eines „Thumbherrn". Der Stoff ist der bekannte viel- verbreitete vom Teufel Belphegor. Eine gedruckte deutsche Bearbei- tung, die Sachs benutzt haben konnte, habe ich nicht aufgefunden, und so muß ich es denn dahingestellt sein lassen, ob eine solche, oder wie Dunlop behauptet eine lateinische existierte, oder ob er mündlich zu der Fabel gekommen. Man vergleiche über den Stoff Dunlop-Lieb recht p. 273, M. Landau, Beiträge z. Gesch. der ital. Novelle (Wien 1875), p. 74.

Unser Spiel hat übrigens viele Züge, die sich deutlich genug als Zusätze des Nürnbergers erweisen. So z. B., daß der „Beschwörer von vornherein ein „arzeta ist, daß die Besessenen Juden sind, daß der Teufel ein alt weib nimmt, ferner die Hochzeit auf der „püechen" u.s.w.

77. Ewlenspiegel mit dem plaben hostuech.

Die Quelle ist die 68. Histori des Ulenspiegel, der sich Sachs ziemlich getreu anschloß. Er hat Zeit (iarmarkt) , Ort (Olzen) und Personen (vier) beibehalten und viele Stellen fast wörtlich benützt. Seine wenigen Änderungen sind: Er läßt die drei Betrüger Monologe halten, worin sie ihre Spitzbubenseelen offenbaren; aus dem losen Gesellen macht er einen fast ganz modernen Bauernfäuger (Klas Wuerffl, der spiczpueb) , und endlich hat er den Schluß umgestaltet Während sich der Bauer im Volksbuch bei dem Bescheid des Schotten- pfaffen, da er ein „geweicht priestera ist, wenn auch nicht ganz ohne Argwohn, beruhigt und davon geht, so glaubt er bei Sachs keinen Augenblick an den Trug. Er gibt zwar man begreift nicht recht warum das Tuch her, allein es entsteht ein heftiger Wortwechsel. Die Spitzbuben lassen die Masken fallen und schlagen „all drey auf in", so daß er flieht. „Der pawer kumpt wieder" und beschließt das Stück mit der unvermeidlichen Moral.

78. Den wüecher vnd ander peschwerd pe treffen t. Die Erfindung dieses bisher ungedruckten (von E. Goetze zuerst

veröffentlichten) Fastnachtspiels gehört wohl dem Dichter selbst. Natürlich hat er von mancherlei Seite Anregung dazu erhalten und sogar wie Goetze (VII, p. IX) bereits fand sein eigenes neuntes Fastnachtspiel wieder verwerthet.

79. Der pauer mit dem saffran.

In diesem Stücke hat Sachs mehrere Fabeln verwebt oder rich- tiger, zusammengestellt, denn es ist ihm nicht wie so oft sonst

58 A. L. STIEFEL

geglückt, die verschiedenen Stoffe zu einem einheitlichen Ganzen zu vereinigen. Das Spiel fällt daher in mehrere Scenen auseinander. Zuerst haben wir eine Miles gloriosus-Scene, bei der wir vielleicht den mittelbaren oder unmittelbaren Einfluß eines gelehrten Dramas annehmen dürfen. Die Figur des Haincz Heder lein ähnelt dem Capitano der italienischen Komödie und noch mehr dem Lacayo des Lope de Rueda [man vergleiche eine fast gleiche Situation in der 1. Escena der Comedia Medora] die zweite Fabel ist die von Sachs in einem eigenen Meistergesang bereits 1548 behandelte Geschichte mit dem Saffran, die sich einer großen Beliebtheit erfreut haben muß; denn nicht nur finden sich Anspielungen darauf, so z. ß. in Lindeners Rastbüchlein, p. 161 („wie Stolpprion, der ein saffran Kauffet"), son- dern der Meistergesang ging auch in die unter dem Namen Grillet i- vertreiber 1605 erschienene Bearbeitung der Schildbürger (Cap. 25) über; nur ist der Name Ganghoffen dort in Manghoffen geändert1!. Die Quelle dieses Schwankes ist mir noch unbekannt. Zwischenhin- ein fällt eine dritte Fabel: der Bauernknecht kauft beim Krämer, oder wie S. ihn auch heißt, „landfarer" (Quacksalber) Yppocras Ge- würze, die ihn „fest" machen sollen. Diese Scene ist wohl aus dem Leben gegriffen. Die 4. Fabel endlich, der Bauer, der beim Gerüche der Gewürze in Ohnmacht fällt und erst durch einen an die Nase ge- haltenen Kuhfladen wieder zu sich kommt, ist orientalischen Ursprungs (s. Goedeke, Schwanke des 16. Jahrhunderts, p. XV) und bildet den Inhalt des altfranzösischen Fabliau „du Villain Anier". Durch welche Vermittlung S. zu dem Stoff gekommen ist, weiß ich nicht. Vielleicht durch eine jetzt verlorene ältere Übersetzung des Fabliau.

80. Der schwanger pauer mit dem fuel.

Diese sehr verbreitete und S. vielleicht mündlich überlieferte Fabel hat er 1551 als Meistergesang, 1557 als Schwank und 1558 als Spiel bearbeitet. Die Ausführung erinnert an verschiedene unflätige Fastnachtspiele bei Keller (S. 58, 365, 679 u. s. w.) und besonders an P. Probsts Spiel vom „krancken Baurn etc." (1553?). V. 150 bis 200 bei S. ähneln auffallend Probst 307 339; S. ist wohl der Nach- ahmer. — Siehe Schorr v. C. Archiv IV. 411 ff., und über Verbrei- tung der Fabel „Gesammtabent. II, p. IX".

81. Der verspilt rewter.

Die Quelle dieses Spiels ist Boccaccio Decam. IX. 4. Sachs. der die Erzählung auch zu einem Meistergesang (1545) und zu einem

') Siehe v. d. Hagen, Narreubuch. Halle 1811, p. 453 ff.

ÜBER DIE QUELLEN DER HANS SACHSISCHEN DRAMEN. 59

Schwank (1559) verarbeitete, schließt sich hierund dort ziemlich getreu seinem Vorbilde an. Während er aber im Schwank (und wie es scheint auch im Meistergesang) die welschen Ortsnamen Senis , Benconvent, Ancona und einen Personennamen (Cecco) beibehielt, hat er im Spiel Alles localisiert und germanisiert. Geblieben ist nur die beabsichtigte Reise nach Ancona (Anchona). Der Junker unternimmt sie aber nicht, wie in der Quelle und noch im Schwanke, um mit dem Cardinal zu- sammenzutreffen, sondern um „Rosina, die edlen jünckfrawen" zu ,,Pesichtigen vnd Zw aim gmahel mir nemen". Die Handlung spielt jedoch auf deutschem Boden. Aus dem mauvais sujet Fortaringo machte Sachs einen 'Rewter und professionellen falschen Spieler, der in einem langen Monolog (circa 75 Verse) sein ganzes Treiben schil- dert. Der Wirth Kuncz Tragauff ist ganz die Schöpfung des Nürn- bergers und ähnelt in seinen Klagen über den schlechten Gang seines Geschäftes sehr der gleichen Figur in anderen Stücken, so z. B. in Nr. 51. Der Dialog nähert sich hin und wieder wörtlich dem Vorbild, ist aber in der Hauptsache Eigenthum des deutschen Dichters.

82. Die zwen gefattern mit dem zorn.

Diese auch als Schwank und Meistergesang (s. Goetze VII, p. XI) bearbeitete Fabel, welche mir sonst noch nicht vorgekommen isti hat Sachs vielleicht aus dem Leben geschöpft.

83. Der Doctor mit der grosen nasen.

Dieses Stück entlehnte Sachs Pauli Nr. 41. Bereits 1545 hatte er den Stoff als Meistergesang und 1559 als Schwank, beide unter dem gleichen Titel behandelt. Schloß er sich in diesen, besonders in dem ersteren seiner Quelle eng an , so verfuhr er hier sehr frei. Aus dem Abt der Pauli'schen Erzählung hat er vielleicht unter dem Einfluß von einigen bei Pauli gleich darauffolgenden Erzäh- lungen (Nr. 44 16) einen „Junckher" gemacht und die Geschichte aus dem Kloster in ein Ritterschloß, neun Stunden von Bamberg ent- fernt, (V. 83 und 90) [bei Nürnberg?] verlegt. Erst unter Sachs' Händen erhielten die Figuren der Erzählung Leben und Individualität. Fast der ganze, wahrhaft meisterhafte Dialog ist sein Eigenthum. Den Narren Paulis hat der Meister mit einer bereits stehend bei ihm gewordenen Figur „Jeckle oder Jecklein der Narr" identificiert. Daß diese Figur irgend eine historische Basis hat, d. h. ob Sachs Namen und Charakter irgend einer damaligen Nürnberger Straßenfigur abborgte, läßt sich wohl vermuthen, aber schwerlich beweisen. Die Figur ist um so beachtenswerther, als sie offenbar der erste Versuch

60 A. L. STIEFEL, ÜBER ME QUELLEN etc.

einer stehenden Maske im modernen deutschen Drama war. Ich glaube daher, ihr liier ein paar Worte widmen zu dürfen'). Zuerst er- scheint Jeekle der Narr, wenn ich mich nicht irre, in der 1534 ver- faßten ( 'oniedia oder Kampjfge*pnjch zwischen Juppiter und Juno] dann in der 1552 geschriebenen Coniedia „Die Stultitia und ihr Hofgesindt", dann wieder jedoch mehr untergeordnet in der Tragödie „Die vier vnglückhaftigen liebhabenden'1 (1556), hierauf im Neidhartspiel (1557), dann in dem vorliegenden Spiel (1559), wo der Narr zur Hauptperson wird, und endlich in der dem „Bache der Beispiele der alten Weisen" entnommenen Komödie „König Sedras mit der königin Helebat etc." (1560). Das letzte Stück ist ganz besonders merkwürdig, weil darin Jekle, fast wie der Narr in Shaksperes „Lear", alle Ereignisse besprechend und persiflierend, durch das ganze Drama anwesend ist.

Das Fastnachtspiel zählt unstreitig zu den gelungensten des Dichters.

84. Die jung witfraw Francisca etc. Quelle: Boccaccio „Cento Novella" IX, 1.

85. Esopüs der Fabeldichter.

Quelle: Steinhöwels „Aesop" (Das leben des hochberümten Fabeldichters etc., ed. Oesterley, p. 41 59). Da diese beiden letzten Stücke eigentlich zu den Komödien gehören, so komme ich später näher darauf zurück.

Während der Correctur ist ein von mir leider übersehener Auf- satz von Leonhard L i e r „Studien zur Geschichte des Nürnberger Fast- nachtspieles" (abgedruekt in den „Mittheilungen des Vereins für Ge- schichte der Stadt Nürnberg", Nürnberg 1889, H. Schräg; S. 87—160) in meine Hände gekommen. Lier gelangt in seiner trefflichen Arbeit bezüglich der Spiele Nr. 2, 4, 2S, 37 und besonders 57 zu ähnlichen Resultaten wie ich. Er hat, was mir bei dem Umfang meines Themas versagt war, Manches noch eingehender begründet und namentlich das Verhältniß des Meisters zum älteren Fastnachtspiel mehr als ich aber noch nicht erschöpfend behandelt. Meine von ihm abwei- chenden Anschauungen gedenke ich bei anderer Gelegenheit niederzu- schreiben.

NÜRNBERG, im Juli 1890. A. L. STIEFEL.

') Inzwischen erschien von K. Reuling «Die komische Figur in den wich, tigsten deutschen Dramen bis Ende des 17. Jahrh." Stuttgart 1890, Göschen. Die Ergebnisse dieses Buches, vielfach anfechtbar, konnten hier nicht mehr berücksichtigt werden.

ÜBER ARI FRODI UND SEINE SCHRIFTEN. 61

ÜBER ARI FRÖB1 UND SEINE SCHRIFTEN.

Im Jahre 1869 erschien die von Th. Möbius besorgte Ausgabe der Islendingabök, in deren Vorwort der nun Dahingegangene sich über Aris Leben und Wirken aussprach. Hiedurch veranlaßt, ver- öffentlichte ich noch in demselben Jahre in der Germania Bd. XV, S. 291 321 eine eingehende Erörterung „über Ari rorgilsson und sein Islamderbuch". Etwas später kam sowohl G. Storni in seinem Buche „Snorre Sturlessöns Historieskrivning" (1873), S. 13 17, als A. Gj es- sin g in der ersten Abtheilung seiner „Undersöge'lse af Kongesagaens Fremvsext" (1873), S. 1 7 auf Aris Geschichtschreibung zu sprechen. Wieder etwas später behandelte Gudbrandr Vigfüsson in den Prolegomena zu seiner Ausgabe der Sturlünga (1878), S. XXVII bis XXXVII denselben Verfasser und seine Werke, und hatte O. Brenner in seiner Abhandlung „über die Kristni-Saga" (1878) wenigstens einzelne Seiten seiner litterarischen Thätigkeit zu erörtern. Ohne Zweifel hat auch O. Klockhoff in seiner Schrift „den norsk- isländska historieskrifningen före Snorre" (Upsala 1880) die einschlä- gigen Fragen eingehend behandelt; indessen vermochte ich mir seine Abhandlung nicht zu verschaffen , da deren ganze Auflage angeblich verbrannt ist. Sehr sorgfältig wurden diese sodann untersucht von Björn Magnüsson Olsen in drei verschiedenen Abhandlungen, „Runerne i den oldislandske Literatur" (1883), „Om forholdet mellem de to bearbejdelser af Ares Islsendingebog" (in den Aarböger for nor- disk Oldkyndighed og Historie, 1885, S. 341 371) und „Ari Porgilsson hinn frödi" (im Timarit hins islenzka bokmenntafjelags, X, S. 214 bis 240, 1889). Kürzer endlich haben sich C. Rosenberg im 2. Bande von „Nordboernes Aandsliv" (1880), Finnr Jonsson im Vorworte zu seiner Ausgabe der Islendingabök (1887), sowie E. Mogk in H. Paul's Grundriß der germanischen Philologie, Bd. II, S. 117 (1889) ausgesprochen. Es scheint an der Zeit, nachdem mein früherer Auf- satz einen Überblick über die älteren Ansichten gegeben hatte, nun einmal zu prüfen, was diese neueren Untersuchungen Neues über Ari und seine Werke zu Tage gefördert haben.

Über Aris Lebensgeschichte habe ich nur eine kurze Be- merkung zu machen. Ich habe den Mann, ang. 0. S. 297 als Besitzer oder doch Mitbesitzer des Pörsnesingagodords bezeichnet und hierauf einigen Werth gelegt, weil seine Stellung innerhalb der regierenden

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K. MAU HER

Aristokratie mir für die Art seiner Geschichtschreibung von Bedeutung zu sein schien. Gudbrandr Vigfusson, S. XXVI[[ und Björn Olsen, im Timarit, S. 216, haben sich in demselben Sinne ausge- sprochen: dagegen hat Finnr Jö-nsson, S. VI, gemeint, für diese Annahme liege kein Beweis vor. Nun ist ja allerdings richtig, daß Ari nirgends ausdrücklich als Inhaber eines godords bezeichnet wird: aber nicht minder richtig ist auch, daß dessen Vorfahren bis auf seinen Großvater Gellir herab im Besitze eines godords waren, welches, seitdem dieselben auf börsnes wohnten, als das rörsnesingagodord bezeichnet werden konnte, daß ferner sein Sohnessohn, Ari hinn sterki, die Hälfte des rörsnesingagodords besaß, endlich daß er selber zu den „höfttingjar" gerechnet wurde, welche neben dieser ihrer Würde die Priesterweihe nahmen, womit denn doch deutlich genug auf den Besitz eines godords hingedeutet zu sein scheint. Oamit dürfte immerhin für die von mir vertheidigte Ansicht ein Grad von Wahr scheinlichkeit erbracht sein, wie er in geschichtlichen Fragen gar oft als Ersatz direeter Zeugnisse hingenommen werden muß.

Hinsichtlich der litterarischen Wirksamkeit Aris dagegen kommt zunächst seine Thätigkeit für die Feststellung eines islän- dischen Alphabetes in Betracht, über welche das Vorwort zu den grammatischen Tractaten der jüngeren Edda, auf welcher unser gesammtes Wissen beruht, sich folgendermaßen ausspricht (Bd. II, S. 4 6. ed. Arnam.): „Skal ydr syna hinn fyrsta letrs hätt, sva ritinn, eptir sextän stafa stafrofi i danskri tüngu, eptir pvi sem pöroddr rünameistari ok Ari prestr hinn frödi hafa sett i möti Latinumanna stafrofi, er meistari Priscianus hefir sett." Ich hatte, ang. O. S. 299 angenommen, daß das Vorwort mit diesen Worten nicht von einer besonderen Abhandlung, sei es nun des Ari allein oder des Ari und poroddr zusammen habe sprechen wollen, sondern nur von der Auf- stellung eines, vorwiegend aus lateinischen Buchstaben gebildeten Alphabetes für die isländische Sprache. Gudbrandr Vigfusson bezieht die Worte, wie ich dies früher ebenfalls gethan hatte, auf den unmittelbar folgenden ersten Tractat, in welchem er pörodds Werk sieht, wogegen er, S. XXXIX, Ari's Erwähnung auf eine bloße Vermuthung des Verfassers des Vorwortes zurückführen will, welche durch die Erwähnung Ari's in jenem Tractat, S. 12, veranlaßt worden sei. Dem gegenüber hält auch Björn Olsen, Runerne, S. 58 60, theilweise nach dem Vorgange von P. G. Thorsen, Om Runernes Brug til Skrift (1877) und C. Rosenberg, Nordboernes Aandsliv, II, S. 37 42 (1880) daran fest, daß die obigen Worte sich auf eine be-

ÜBER ARI FROD1 UND SEINE SCHRIFTEN. 63

sondere Abhandlung börodds beziehen : aber diese Abhandlung hat nach ihm nicht die Aufstellung eines wesentlich aus lateinischen Buch- staben gebildeten Alphabetes für die isländische »Sprache bezweckt, sondern vielmehr eine Erweiterung des einheimischen liunenalphabetes, und er will dieselbe nicht in dem ersten Tractate , sondern in dem Runenabschnitte des dritten Tractates benützt finden. Auf etwa ein halbes Jahrhundert hinaus habe man sodann auf Island zu Aufzeich- nungen in einheimischer Sprache dieses Runenalphabetes sich bedient, und insbesondere habe Ari dasselbe für seine Schriften verwendet, ohne daß er darum bei der Abfassung jener Abhandlung rorodds mit- betheiligt gewesen zu sein brauchte. Wenig später (1885) spricht sich derselbe Verfasser in der Einleitung zu seiner Ausgabe des dritten und vierten Tractates nochmals in demselben Sinne aus (Den tredje og fjserde grammatiske Afhandling i Snorres Edda, S. XXII XXVIII), und E. Sievers, in H. Paul's Grundriß der germanischen Philologie, I, S. 243 244 (1889) hat sich ihm ganz und gar angeschlossen. Da- gegen hat sich sowohl G. Storm im Arkiv for nordisk Filologi, II, S. 172 176 (1885), als Finnr Jönsson in der Vorrede zu der von ihm und Verner Dahlerup besorgten Ausgabe des ersten und zweiten Tractates (Den forste og anden grammatiske Afhandling i Snorres Edda, S. VI IX, 1886), dann O. Brenner in der Zeitschrift für deutsche Philologie, Bd. XXI, S. 274, Anm. 1 (1889) sehr bestimmt gegen die Annahme ausgesprochen , daß man auf Island in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts so gut wie ausschließlich das Runenalphabet für in einheimischer Sprache verfaßte Aufzeichnungen benützt habe, wo- gegen Storm wenigstens sehr bestimmt die Beweisführung bezüglich des Zusammenhanges der Abhandlung porodds mit dem dritten und nicht mit dem ersten Tractate als gelungen ansieht und sich nur für Aris Mitarbeiterschaft an derselben ausspricht. Auch ich vermag mich nicht davon zu überzeugen, daß die Runenschrift auf Island je mals regelmäßig zu litterarischen Zwecken benützt worden sei, und schließe mich dieserhalb den von G. Storm und Finnr Jonsson ange- führten Gründen durchaus an; dagegen halte allerdings auch ich den Beweis für geliefert, daß Pöroddr eine Abhandlung über das Runen aiphabet geschrieben habe, welche für den Runenabschnitt des dritten Tractates benützt wurde, und möchte nur, mit Storm, Aris Be- theiligung an dieser Abhandlung immerhin für möglich halten. Auch Finnr Jonsson, ang. O., S. II, erklärt die Annahme, daß Pöroddr der Verfasser des ersten Tractates sei, für endgiltig widerlegt, wo- gegen E. Mogk, ang. O. II, S. 142 (1890) einen eigenen Weg geht,

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indem er einerseits den Verfasser des ersten Tractates sich die Auf- gabe stellen läßt, „hauptsächlich aus dem lateinischen und dem Runen- alphabete des rörodd ein seiner Muttersprache bequemes zu schaffen", anderseits aber auch annimmt, daß der Verfasser des dritten Trac- tates für diesen neben den Institutionen des Prisciauus auch „ältere Arbeiten, namentlich über die Runen" benutzt habe, unter welchen doch wohl Pörodds Arbeit mitbegriffen sein will.

Bezüglich der geschichtlichen Werke Aris dagegen steht zunächst durch dessen eigene Angabe im Vorworte zu der uns erhal- tenen Islendingabök fest, daß dieser eine frühere Bearbeitung dieser Schrift vorangegangen war, welche sich von der uns allein vorliegen- den zweiten mehrfach unterschieden hatte. Insbesondere hatte die eine von beiden „attar tolo oc conunga sevi" vor der anderen voraus, und bestand nur von Alters her darüber Streit, ob die ältere oder die neuere Redaction des Werkes die umfangreichere, und jene beiden Stücke enthaltende gewesen sei. Ich habe mich, wie schon früher mehrfach, so auch ang. O. S. 309 312 für die erstere Alternative erklärt und demnach angenommen, daß Ari in seiner zweiten Redaction sowohl die Geschlechtsregister als die Königsgeschichte weggelassen habe, welche seine erste Redaction enthalten habe. Diese Ansicht darf auch jetzt als allgemein angenommen gelten, und haben sich ins- besondere G. Storni, Snorre's Historieskrivning S. 13, A. Gj es sing I, S. 1 5, Gudbrandur Vigfüsson S. XXXI XXXIII, welcher sich schon früher in gleichem Sinne ausgesprochen hatte, C. Rosen- berg, ang. 0. S. 204 205, Björn Olsen und E. Mogk, im Grund- riß II, S. 117 für dieselbe erklärt; Björn Olsen aber hat diese An- nahme nicht nur mit weiteren Gründen vertheidigt, sondern auch mehrfach vertieft und in einzelnen Punkten berichtigt. In den Aar- böger S. 348 betont er zunächst mit allem Nachdruck, daß Ari selbst einerseits durch die Worte ..Incipit libellus Islandorum" und ander- seits durch die Bemerkung „her lycsc siä böc" sehr bestimmt den Anfang und das Ende des uns erhaltenen Werkes bezeichne, und daß somit nicht nur das Vorwort und das Verzeichniß der Capitel, son- dern auch die zwischen beiden stehende Notiz über K. Halfdan hvit- beinn und seine Nachkommen bis auf K. Haraldr härfagri herab noch nicht zu demselben gerechnet werden, sodann aber auch die Ge- schlechtsregister der fünf ersten einheimischen Bischöfe sowie der Stammbaum der Ynglingar und Breiitfirdingar , d. h. des Ari selbst, nicht mehr als zu ihm gehörig gelten können. Völlig neu ist diese Beobachtung allerdings nicht ; vielmehr hat schon Möbius im Vorworte

ÜBER ARI FRODI UND SEINE SCHRIFTEN. 65

zu seiner Ausgabe, S. XII XIII auf dieselbe hingewiesen und die Stammtafel K. Haralds als „zweifelhaften Ursprungs" bezeichnet, be- züglich der anhangsweise beigegebenen Geschlechtsregister dagegen sich mit der Annahme zu helfen gesucht, daß die Bischofsgenealogien die Stelle einer Dedication an die Bischöfe rorlakr und Ketill, für welche Ari seine erste Redaction geschrieben hatte, vertreten, die Genealogie der Breidfirdingar aber nur eine Einführung des an ihrem Schlüsse sich nennenden Verfassers selbst bieten sollten eine An- nahme, welche Möbius sowohl als ich selbst, ang. 0. S. 311, von Gudbrandr Vigfüsson übernommen hatten, der sie auch noch in seinen Prolegomena S. XXXII festhielt. Weiterhin führt aber Björn Olsen nicht nur aus, daß zunächst die Bischofsgenealogien ganz den genealogischen Notizen parallel laufen, welche unsere Islbk. an der Spitze ihres cap. 2 bringt, und somit nur einer anderen Redaction als dieser entstammen können, sondern er hebt auch mit aller Schärfe hervor, was allerdings auch wieder schon vor ihm nicht unbemerkt geblieben war, daß sie, weil den B. rorlak als noch lebend bezeich- nend, nicht nach dem Jahre 1133 geschrieben sein können, während unsere Redaction der Islbk., welche in ihrem cap. 10 dem Gesetz- sprecher Gudmundr borgeirsson seine vollen 12 Amtsjahre beilegt, nicht vor dem Jahre 1134 geschrieben sein kann, wobei eine von G. Storm, Snorres Historieskrivning S. 13 Anm., gegen das letztere Datum erhobene Einwendung treffend zurückgewiesen wird (S. 349 Anm. 2). Er schließt aber hieraus nicht nur mit vollem Recht, daß jene Genea- logien der ersten Redaction des Islendingabök entstammen müssen (S. 348 352), sondern er weist auch, meines Erachtens nicht minder schlagend, die Möglichkeit zurück, daß sie von Ari ursprünglich als Widmung an die beiden Bischöfe gemeint und darum unverändert aus der ersten in die zweite Redaction herübergenommen worden sein könnten (S. 353 354). Begründet scheint mir ferner auch die weitere Annahme, daß ganz dasselbe auch von den beiden weiteren Zuthaten, dem Stammbaume Aris nämlich und den genealogischen Notizen über K. Harald zu gelten habe, und dass alle diese Stücke erst hinterher von einem Abschreiber der älteren Redaction der Islbk. entnommen und der jüngeren beigefügt worden seien (S. 354 356). Sind diese Vermuthungen begründet, wie ich sie für begründet halte, so haben wir in den Genealogien der Bischöfe und Aris selbst Bestandtheile der in der zweiten Redaction ausgeschlossenen aittartala, und in der vorausgehenden Genealogie K. Haralds, dann allenfalls auch in einem in Cap. 1 ziemlich unvermittelt eingeschalteten Satze über K. Haralds

GERMANIA. Neue Seihe XXIV. (XXXVI.) Jahrg. 5

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Lebens- und Regierungsdauer, Bestandteile der ausgeschlossenen konünga sefi zu erkennen , welche uns durch die Ungeschicklichkeit eines Abschreibers aufbewahrt sind (S. 361 363) , während sie mit der jüngeren Redaction der Islbk. an sich nicht das Mindeste zu thun haben. Über diese Ergebnisse, welche das Verhältniß der beiden Redactionen der Islbk. zu einander genügend feststellen, geht nun aber Björn Olsen am Schlüsse der soeben besprochenen Abhandlung (S. 370 371) noch hinaus. Er spricht nicht nur, worin ihm selbst- verständlich Jedermann beipflichten wird, die Überzeugung aus, daß die beiden Bischöfe an der ersten Redaction vornehmlich das Zu- sammenwerfen dreier ganz verschiedener Dinge auszusetzen gefunden haben werden, und daß sie darum den Ari veranlaßten, aus seiner neuen Bearbeitung die aettartala sowohl als die konünga sefi auszu- scheiden, sondern er knüpft hieran auch sofort die weitere Vermuthung, daß ihre Meinung nicht die gewesen sein könne, daß diese letzteren beiden Materien nun ohne weiterejBearbeitung bleiben sollten, und daß wirklich Ari selber hinterher beide zu zwei weiteren selbständigen Werken verarbeitet habe. Diese letztere Frage führt aber sofort zu zwei weiteren Fragen nämlich zu der doppelten Frage, welcher Antheil dem Ari einerseits an den norwegischen Königssagen und ander- seits an der Landnamabök zukomme? Diese Doppelfrage hat uns nun noch des Näheren zu beschäftigen.

Zunächst ein paar allgemeine Bemerkungen. Ich hatte, ang. O. S. 312 319, auszuführen gesucht, daß die sämmtlichen Stellen in der älteren Litteratur, welche auf Ari sich berufen, recht wohl auf seine ältere Redaction der Islendingabök bezogen werden können, soweit sie nicht auf deren jüngere Redaction passen, und daß somit lediglich in deren konünga sefi die Grundlage für die norwegische Königssage, und in deren settartala der Ausgangspunkt für die spätere Landnäma- b6k zu suchen sei. Ohne sich ausdrücklich darüber auszusprechen, schien doch G. Storm dieser Ansicht sich anschließen zu wollen (vgl. indessen S. 50 u. 92), und ziemlich bestimmt hat dies C. Rosen- berg, ang. 0. IL S. 208—209 u. 298—299, gethan; dagegen haben sich sowohl Gjessing und Björn Olsen als Gu dbrandr Vigfüs- son in gegenteiligem Sinne erklärt, nämlich angenommen, daß Ari neben der zwiefachen Redaction seines Isländerbuches auch noch selb- ständige Werke über die norwegische Königsgeschichte sowohl als über die Besitznahme Islands geschrieben habe. Ich habe in meiner späteren Schrift: „Island von seiner ersten Entdeckung bis zum Unter- gange des Freistaats", S. 458 459 (1874), mit einigen Worten auf

ÜBER ARI FUODI UND SEINE SCHRIFTEN. 67

Ari zu sprechen kommend, die Begründung oder Nichtbegründung der Ansicht Gjessings dahingestellt sein lassen, da es mir nicht am Platze schien, auf eine einläßliche Erörterung derselben an jenem Orte ein- zugehen; Finnr Jönsson hat sowohl im Vorworte zur Ausgabe des ersten und zweiten grammatischen Tractates, S. V, als im Vorworte zu seiner Aasgabe der Islendingabok, S. VI, die Frage gleichfalls bei Seite liegen lassen, und auch E. Mogk hat sich im Grundriß II, S. 117, nach Erwähnung der zwiefachen Redaction der Islendingabok auf die vorsichtige Bemerkung beschränkt: „Ob Ari außerdem noch besondere Königssagas geschrieben hat, ist zum mindesten sehr un- sicher", wozu er S. 123 noch den bestimmteren Ausspruch beifügt: .,üer erste Entwurf einer Ldn. geht wohl auf Aris längere Islendinga- bok zurück, wobei ihn Kolskegg aus dem Ostland und sein Oheim Brand aus dem Breidfirdingergebiet mit localen Nachrichten ihrer Hei- mat unterstützten". Wenn nun aber hier auf die Erörterung der Ein- wände näher eingetreten werden soll, welche der früher von mir ver- fochtenen Ansicht entgegengestellt wurden , muß vor Allem auf die Verschiedenheit des Standpunktes aufmerksam gemacht werden, wel- cher von den verschiedenen Gegnern derselben eingenommen wird. Sowohl A. Gj es sing I, S. 5 7, als Björn Olsen in seinen beiden späteren Abhandlungen gehen von der Überzeugung aus, daß Ari ganz in derselben Weise, wie er die auf die Landesgeschichte Islands bezüglichen Angaben seiner älteren Islendingabok mit Hinzufügung einzelner weiterer Nachrichten und mit einzelnen Berichtigungen zu seinem „libellus Islandorum" umgearbeitet habe, so auch die in jener enthaltene, aus dem letzteren aber ausgeschiedene settartala zu einer Landnämabok, und die dort ebenfalls vorhandene, hier aber nicht minder beseitigte konünga sefi zu einer Konüngabok verarbeitet habe. GudbrandrVigfüsson, S. XXIX XXXI, dagegen nimmt an, wie dies der alte Arni Magnüsson bezüglich der konünga aefi wenig- stens schon vor ihm gethan hatte, daß Ari sowohl eine Konüngabok als eine Landnäma in jüngeren Jahren verfaßt habe; später habe er dann den Inhalt beider Werke in eine erste Redaction der Islendinga- bok verarbeitet, und dann noch später, was aus beiden Werken in diese übergegangen war, auf Verlangen der beiden Bischöfe wieder aus der zweiten Redaction beseitigt (S. XXXIII XXXIV). Was nun zunächst diese letztere, jedenfalls sehr wunderliche, Ansicht betrifft, so beruft sich Gudbrandr Vigfüsson vor Allem darauf, daß Ari, im Jahre 1067 geboren, schon sehr bejahrt gewesen sein mußte, als er seine ältere Islendingabok schrieb, da diese für die Bischöfe forlakr

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Runolfsson von Skälholt (1118—1133) undKetillPorsteinsson vonH61ar (1122 1145) geschrieben und beiden vollendet vorgelegt worden war, und daß es sehr unwahrscheinlich sei, daß Ari erst in so hohem Alter sein erstes Werk geschrieben habe. Weiterhin macht er geltend, daß mehrere von den Gewährsleuten, auf welche Ari sich beruft, bereits hochbejahrt in den Jahren 1100 1118 gestorben waren. Endlich hebt er auch noch hervor, daß sowohl die Landnäma als die norwegischen Königssagen, so wie sie uns erhalten sind, Werke von sehr beträcht- lichem Umfange sind, welche unmöglich jemals einen bloßen Bestand- teil eines größeren Ganzen gebildet haben können. Es ist indessen klar, daß alle diese Gründe vollkommen unsticbhaltig sind. Daraus, daß die uns vorliegende Landnäma und die uns vorliegenden Königssagen sehr bedeutenden Umfanges sind, kann man keinerlei Schluß auf den Umfang der Aufzeichnungen Aris ziehen, welche für beide Werke den Ausgangspunkt bildeten, und daraus, daß Ari sich auf die An- gaben bestimmter Personen beruft, darf man nicht folgern, daß diese noch zu der Zeit gelebt haben müssen, in welcher er schrieb. Warum sollte er sich nicht auf Angaben haben berufen können , welche ihm von längst verstorbenen Leuten vor langen Jahren gemacht worden waren , und warum sollte nicht an einen sehr wenig umfangreichen Kern von Nachrichten hinterher im Verlaufe des nächsten Jahrhun- derts durch Benützung anderer Quellen eine so reiche Zuthat sich an- gesetzt haben können, daß aus dem bloßen Bestandteile eines größeren Werkes nach und nach ein neues, ganz anders umfassendes Buch herauswuchs? Aus Aris Alter Schlüsse zu ziehen, halte ich aber gleichfalls für sehr bedenklich. Der Mann wird uns ausdrücklich als der Erste bezeichnet, der überhaupt ein litterarisches Werk in ein- heimischer Sprache schrieb ; wie lang mag es da gewährt haben, bis er unter solchen Umständen an die Beherrschung der neuen Schrift- sprache sich gewöhnt, bis er überdies durch mühseliges Herumfragen bei den verschiedensten Leuten seinen Stoff zusammengebracht und sich zu litterarischer Verwerthung zurecht gelegt hatte ? Und warum sollte Ari nicht, wie heutzutage noch so mancher wißbegierige Mann auf Island thut, zunächst nur im eigenen Interesse gesammelt und vielleicht auch theilweise aufgezeichnet haben , was er über die Ge- schichte seiner Heimat und des übrigen Nordens an Nachrichten zusammenzubringen vermochte, während er dann erst hinterher in höherem Alter, von den beiden Bischöfen aufgefordert, was er zusammen- gebracht hatte, auch Anderen nutzbar zu machen, sich zur Bearbeitung des gesammelten Stoffes entschlossen hätte? Alles, was wir über

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die Beschaffenheit der älteren Islendingabök wissen, deutet ganz auf die Mühseligkeit eines ersten schriftstellerischen Versuches hin, in- dem eine wahre ..rudis indigestaque moles" der verschiedenartigsten Notizen in derselben zusammengehäuft worden war. Es begreift sich sehr wohl, daß, wie auch Björn Olsen annimmt, die Bischöfe und der auswärts gebildete Priester Ssemundr, als sie dieses Werk zu Gesicht bekamen, dessen Verfasser auf die Unstatthaftigkeit einer Vermengung so verschiedenartiger Stoffe aufmerksam machten, und daß er diesen ihren Einwendungen Rechnung trug; aber was in aller Welt hätte einen Schriftsteller, welcher erst klug genug gewesen war, die nor- wegische Königsgeschichte sowohl als die Geschichte der Besiedelung Islands in zwei gesonderten Werken zu behandeln, veranlassen können, hinterher beide in einem neuen Werke mit der Geschichte Islands zusammenzuschweißen, welches so ungeschlacht ausfiel und ausfallen mußte, daß sofort wieder eine neue Umarbeitung unter Ausscheidung jener beiden Materien nöthig wurde? Und wie soll man sich erklären, daß der Prolog zur Heimskringla sich ausschließlich auf die ältere Islendingabök Aris bezieht, und diese ausdrücklich als das erste in einheimischer Sprache geschriebene Geschichtswerk bezeichnet, wenn von demselben Manne vorher schon ein eigenes Werk über die nor- wegische Königsgeschichte geschrieben worden wäre, mit welcher die Heimskringla es doch allein zu thun hat? Lassen wir aber Gucl- brandr Vigfussons Hypothese als gänzlich unhaltbar bei Seite, und wenden wir uns zu der Annahme A. Gjessings und Björn Olsens, vermöge welcher Ari seine selbständigen Werke über die norwegische Königsgeschichte und über die Besiedelung Islands erst nach der zweiten Redaction seiner Islendingabök verfaßt hätte, so läßt sich diese letztere ohne allen Zweifel weit eher hören. Die Möglichkeit ist nicht zu bestreiten, daß Ari in derselben Weise, wie er den auf die Geschichte Islands sich beziehenden Theil seiner älteren Islend- ingabök einer neuen Bearbeitung unterzog, so auch mit deren settar- tala und konünga sefi das Gleiche gethan haben möge, und ich gebe sogar zu, daß ein solches Verfahren unter Umständen für ihn nahe genug liegen mochte; aber doch dürften anderseits jener Annahme schon von vornherein zwei sehr erhebliche Bedenken im Wege stehen. Einmal war Ari, wie bereits bemerkt, im Jahre 1067 geboren und somit zu der Zeit, da er seine ältere Islendingabök schrieb, also in den Jahren 1122—1133, schon ein Mann von ungefähr 60 Jahren; als er deren zweite Redaction ausgeben ließ, d. h. nach dem Jahre 1134, hatte er sogar schon sein 67. Jahr überschritten, und doch

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konnte er vor diesem letzteren Zeitpunkte weder eine Landnama noch eine Konüngabok aus jener älteren Redaction herausgearbeitet haben, da hiefür der zwischen beiden Redactionen in der Mitte liegende Zeit- raum offenbar zu kurz war *) , und da er überdies, wenn solches ge- schehen wäre, im Prologe zu seinem „libellus Islandise" hievon ganz gewiß Erwähnung gethan haben würde. Soll man nun aber annehmen, daß Üer im Jahre 1148 verstorbene Mann, hochbetagt wie er war, in den letzten 14 Jahren seines Lebens noch zwei angeblich so umfassende Werke begonnen und zu Ende geführt habe, und das in einer Zeit, in welcher die Schriftstellerei in einheimischer Sprache eben erst be- gonnen hatte und somit noch mühsam genug sein mußte? Zweitens aber beruft sich im Prologe zur Heimskringla dessen Verfasser als auf eine seiner hauptsächlichsten Quellen auf ein Werk des Ari, welches, wie Björn Olsen ausdrücklich anerkennt (Aarböger S. 369 370), nur dessen Islendingabök gewesen sein kann ; wie will man dies erklären, wenn derselbe Ari nach diesem die norwegische Königs- geschichte doch nur nebenbei behandelnden Werke noch ein anderes, ihr ausschließlich gewidmetes und sie überdies weit einläßlicher be- handelndes neueres Werk geschrieben hätte? Es bedürfte, um der- artige Bedenken zu widerlegen, sehr gewichtiger positiver Beweise für die Thatsache, daß Ari einerseits eine Konüngabok und andererseits ein Landnämabok verfaßt habe, und solche Beweise hat man denn auch beizubringen gesucht; die versuchte Beweisführung vermag mich indessen nach beiden Richtungen hin nicht zu überzeugen.

Was zunächst die norwegische Königsgeschichte betrifft, so hat sich Björn Olsen (Aarböger S. 341—342 und 370—371; Timarit S. 222 223) einfach der von Gjessing ausgesprochenen An- sicht angeschlossen und auf die von ihm gegebene Begründung der- selben verwiesen, ohne sich auf eine eigene Beweisführung einzulassen. Gjessing aber und Gudbrandr Vigfüsson berufen sich vor Allem auf die Überschrift, welche die Frissbok zwischen den Prolog und den Anfang des Ynglingatal in die Mitte stellt, und welche' folgender- maßen lautet: „Her hefr vpp konüngabok eftir savgn Ära prestz froda. Oc hefr fyrst om bribivnga skipti heimsins. En sidan fra

') In seiner jüngeren Islbk. Cap. 10, S. 16 legt Ari dem Gesetzsprecher Gudmundr porgeirsson richtig seine vollen zwölf Amtsjahre bei, ohne seines Nach- folgers Hrafn Ulfhedinsson (1186 1138), zu gedenken; er muß also während der Amtszeit dieses Letzteren jenes Werk vollendet haben. Björn Olsen, im Tfmatal, S. 239, meint freilich, Ari habe wohl gleichzeitig an diesem und der Landnama (auch der Konünga sefi?) gearbeitet, was mir nicht glaublich scheint.

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avllvm Noregs konvngom". Hiemit soll nach Gudbrandr Vigfüsson gesagt sein, daß die folgenden Königssagen entweder Ari's Konünga- bok seien oder doch von diesem abstammen (S. XXIX) ; Gjessing aber meint, daß man in jenen Worten vielleicht die originale Über- schrift aus der Hand des Verfassers der Heimskringla habe, welcher durch dieselbe andeuten wollte, daß die folgende Darstellung für die Zeit der früheren Könige sich auf Ari's Werk stütze, und daß ihre ausführlichere Erzählung sich um dieses als um ihr ursprüngliches Schema herum lege und dasselbe auch stückweise in sich aufnehme. Ich vermag indessen dieser Überschrift nur wenig Werth beizulegen. Die Frissbök, über welche nunmehr der Katalog over den Arnamagn- aeanske Händskriftsamling I, S. 32 33, Nr. 59 verglichen werden kann, stammt aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts und ist bezüglich ihrer ersten Abschnitte ganz der Heimskringla entnommen , welcher sie auch ihren Prolog entlehnt hat; hiernach liegt der Verdacht nahe, daß jene Überschrift, welche sich in keiner der anderen Bearbeitungen der Königssagen findet, lediglich von dem Schreiber der Handschrift erfunden sein möge, welchem die Bezugnahme des vorangehenden Prologs auf Ari's litterarische Thätigkeit zu dieser Erfindung den Anlaß geboten haben mochte. Gjessing beruft sich ferner darauf, daß nur an einer einzigen Stelle, nämlich im Prologe der Heimskringla, von einer „böka Aris gesprochen werde, wogegen an drei Stellen (Snorra Edda II, S. 12; Flateyjarbök I, S. 194, soll heißen §. 400, S. 511; Heimskr. Olafs s. helga Cap. 189, S. 450) von „boekr" Aris die Rede sei, von welchen drei Stellen wenigstens die beiden zuletzt angeführten sich auf die norwegische Königsgeschichte bezögen und somit nicht wohl die beiden Ausgaben der Islendingabök im Auge haben könnten. Aber auch dieses Argument scheint mir wenig zu beweisen. Gjessing selbst gibt zu, daß die erste seiner drei Stellen, welche dem ersten grammatischen Tractate der Snorra Edda entnommen ist, ganz wohl auf die beiden Redactionen der Islendingabök bezogen werden könne: genau dasselbe scheint mir aber auch von den beiden anderen zu gelten. Die aus der Flbk. angeführte Bemerkung des Mönches Gunn- laugr ist aus Anlaß des Unterganges des Königs Olafr Tryggvason in der Svolderer Schlacht gemacht und geht dahin, daß Gunnlaugr „segir bat seina skrifat hafa sem hann hefir af sannordum monnum heyrt ok seinkannligazst hafa saman lesit bat er hann hefir fundit j bok- um Ära prestz hins froda". Aber von Ari kann er die unmittelbar vorhergehenden roman- oder legendenhaften Berichte über des Königs wunderbares Entkommen aus der Schlacht nicht bezogen haben, denn

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dieser bezeichnet ihn ausdrücklich als im Kampfe gefallen (Islbk., Cap. 7. S. 12, Cap. 8, S. 13, Cap. 9, S. 14 u. Cap. 10, S. 17), und mag somit wohl sein, daß es nur das Todesjahr des Königs und die Angabe der Gegner war, mit denen er kämpfte, was Gunnlangr von Ari ent- nahm, also Angaben, welche sicherlich in beiden Redactionen der Islbk. standen, vielleicht neben einigen weiteren Daten, welche nur die verlorene ältere Redaction derselben enthalten hatte. Nicht anders steht es aber auch mit der Stelle aus der Heimskringla. Nachdem hier die Flucht K. Olafs von Sunnmceri aus über das Gebirge nach Lesjar erzählt und bemerkt worden war, daß dieser damals 15 Winter König in Norwegen gewesen sei, den Winter mit eingerechnet, den er mit Sveinn jarl zusammen im Lande war, wird beigefügt: „ressa grein konungdöms hans ritadi fyrstr Ari prestr rorgilsson hinn frodi, er baecti var sannsögull, minnigr, ok svä gamall madr, at hann mundi menn ok haftti sögur af haft, er peir väru svä gamlir, at fyrir aldrs sakir mättu muna pessi tidindi, svä sem hann hefir själfr sagt i sinum bökum, ok nefnda menn til, er hann hafdi froedi af numit", worauf dann die von dieser Angabe abweichende Berechnung des „alpydutal" folgt. Eine Angabe des Todesjahres des heiligen Olafs, aus welcher das Jahr seiner Flucht sich einfach berechnet, enthält unsere Islbk., Cap. 8 S. 13, welche auch noch, Cap. 1, S. 5, einer Bestimmung des- selben über die landaurar gedenkt; weitere Angaben über ihn muß die ältere Redaction dieses Buches enthalten haben, welcher ja auch die im Prologe zur Heimskringla erwähnte Bezugnahme auf Oddr Kolsson und rorgeirr afrädskollr angehörte, von welcher die unsrige nichts weiß. Auch an dieser Stelle, auf welche sich auch Gudbrandr Vigfüsson beruft, und aus welcher er im Zusammenhalte mit dem Pro- loge der Heimskringla folgern will, daß Snorri seine ganze Königs- geschichte auf Ari's Königsbuch gestützt habe, können also unter den „Büchern" Ari's die beiden Redactionen der Islbk. verstanden werden; darüber hinaus hat aber gerade Gudbrandr Vigfüsson bereits in sei- nem Wörterbuche bemerkt, daß die ältere Sprache gerne den Plural „boekr" statt des Singulars „b6k" setzt, „without regard to volumes", womit die Beweiskraft dieses Momentes vollends schwindet. Als einen unterstützenden Behelf hat Gjessing noch den Umstand erwähnt, daß die Bezeichnung „konunga ajfi", welche Ari selbst im Prologe zu sei- nem „libellus" für einen der aus seiner ersten Redaction ausgeschie- denen Bestandtheile braucht, später sehr häufig für die Heimskringla benützt wurde; aber hierauf vermag ich ebenfalls kein Gewicht zu legen. Anderwärts kommt dafür die Bezeichnung als sefisaga Noregs

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konünga, kontmgabok (wie in der Überschrift der Frissbök) , bok Noregs konünga, Noregs konünga sögur u. dgl. vor, und ist somit klar, daß mit jenen Worten nicht der authentische Titel eines bestimmten Werkes, sondern nur eine generelle, vom Inhalte hergenommene Be- zeichnung gegeben werden will, welche also auch ebensogut wie auf die Heimskringla auf jede andere längere oder kürzere Bearbeitung der norwegischen Königsgeschichte Anwendung finden konnte. Wenn endlich Gjessing aus der Vergleichung der verschiedenen Bearbeitungen der Königssagen auf ein ihnen allen zu Grunde liegendes gemeinsames Original schließen zu dürfen glaubt, welches nach Allem, was wir von der isländischen Literaturgeschichte wissen, eben nur von Ari verfaßt sein könne, so gebe ich zwar gerne zu, daß aus jener Über- einstimmung ein Schluß auf ein gemeinsames Original gezogen werden könne; ich muß aber bestreiten, daß dieses Original ein Werk Aris gewesen sein müsse, da sich jene Übereinstimmung auch auf Theile der Königssagen bezieht, für welche nachweisbar ganz andere Quellen benützt wurden, wie z. B. die J6msvikinga saga, die Schriften des Oddr Snorrason, Gunnlaugr Leifsson oder Eirikr Oddsson, die Jarla saga u. dgl., und da überdies aus der Art, wie Ari in den Königs- sagen angeführt wird, sowohl als aus dem Prologe zur Heimskringla sehr bestimmt hervorgeht, daß dieser zwar eine der Quellen dieser Bearbeitungen war, aber auch nur eine von mehreren. Noch weit weniger aber kann ich mich mit den Behauptungen befreunden, welche Guttbrandr Vigfüsson S. XXIX— XXX und S. LXXIX— LXXX aufgestellt hat. Nach ihm soll Ari's Königsbuch wahrscheinlich bis zum Tode des Königs Haraldr Sigurctarson (f 1066) gereicht haben, aber verloren sein, soweit dasselbe nicht von Snorri seinem Geschichts- werke einverleibt worden sei; manche Theile dieses letzteren sollen wörtlich aus Aris Königsbuch herübergenommen sein, und dies soll zumal von der Ynglinga saga gelten, deren Abweichungen von der Snorra Edda in ihren mythologischen Angaben sich von hier aus erklären sollen, dann aber auch von den Lebensbeschreibungen der übrigen älteren Könige bis auf K. Olafr Tryggvason herab, welche alle wesentlich Ari's Werk, und von Snorri und Anderen nur etwas verkürzt, aber sonst wenig überarbeitet sein sollen. Endlich soll auch der Prolog der Heimskringla, „A bök pessi" u. s. w. wesentlich von Ari herrühren , wie denn die Berufung auf die mündlichen Berichte weiser Männer, alte Erzählungen, Ehrenlieder, dann geschichtliche und genealogische Dichtungen nur im Munde Ari's passen soll, da ja zu Snorris Zeit die mündliche Überlieferung bereits abgestorben war.

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dagegen aber schon eine Reihe schriftlicher Aufzeichnungen vorlag. Meines Erachtens fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, daß die beiden Hälften des Prologes von verschiedenen Verfassern herrühren, und wird demnach, wenn die eine derselben den Ari als Gewährs- mann nennt und bespricht, auch die andere von einem anderen und späteren Verfasser als ihm herrühren müssen. Auf das „sem ek heti heyrt frötla menn segja", auf „nokkurar kynkvislir peira, eptir pvi sem mer hefir kent verit", auf ein „langfedgatal" und auf „forn kvaedi eda söguljöd-' konnte sich Snorri ebenso gut berufen als Ari, da ja damit in keiner Weise auf den directen Bericht von Augenzeugen hingewiesen wird, wie dies sowohl die Bezugnahme auf rjödölfr von Hvin und auf Eyvindr skäldaspillir beweist, als die Bemerkung: „en at v6r vitim eigi sannyndi ä pvi, vitum ver dcemi til pess, at gamlir froedimenn hafa slikt fyrir satt haft". Während der Verfasser des Prologes also von Geschichtswerken nur Aris ältere Islendingabok als das älteste Werk der einheimischen Geschichtschreibung erwähnt, womit natürlich die Existenz und Benützung anderer Aufzeichnungen nicht ausgeschlossen werden will, beruft er sich daneben auf Lieder und Gedichte verschiedenster Art und Ursprungszeit als auf Quellen, deren mündliche Überlieferung durch ihre metrische Form gegen Ent- stellung geschützt sei, und außerdem auf die Mittheilungen geschichts- kundiger Männer, von denen er nur vorsichtig bemerkt, daß sie zwar nicht vollkommen beweiskräftig seien . aber immerhin als der Aus- druck der Überzeugung verständiger Männer eine gewisse Wahrschein- lichkeit für sich haben. Ich kann nicht finden, daß damit irgend etwas ausgesprochen sei, was nicht ebenso gut im 13. als im 12. Jahr- hundert gesagt werden konnte; wohl aber scheint mir die Benützung von Liedern, wie sie im Prologe angekündigt und in den Königssagen consequent durchgeführt ist, ganz ebenso wie die breite, behagliche Darstellungsweise in diesen mit der kurzen, gedrungenen und nüch- ternen Geschichtschreibung Aris, wie sie uns in seiner jüngeren Islendingab6k sowohl als in allen auf ihn Bezug nehmenden Citaten entgegentritt, schlechthin unvereinbar zu sein. Die Widersprüche aber, welche sich zwischen den Angaben der Ynglinga saga und der Snorra Edda ergeben, scheinen sich mir aus der verschiedenen Bestimmung und allenfalls auch verschiedenen Abfassungszeit beider Werke auch dann genügend zu erklären, wenn wir an Snorri Sturluson als dem Verfasser einfach festhalten.

Bezüglich der Landnamabok dagegen hat sich umgekehrt Gjessing nur ganz kurz ausgesprochen, ohne sich auf eine Beweis-

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führung einzulassen, und sind demnach nur die von Gudbrandr Vigfüsson, S. XXX XXXI, und von Björn Olsen im Timarit S. 223 240 vorgebrachten Gründe zu prüfen. Beide stützen sich natürlich in erster Linie auf die bekannte Stelle der Hauksbök (Land- näma V, Cap. 15, S. 320, Anm. 12), wo es heißt: „Nu er yfir farit um landnäm bau er verit hafa ä Islandi eptir pvi sem frodir menn hafa skrifat, fyrst Ari prestr hinn frodi. Porgilsson, ok Kolskeggr hinn vitri. En pessa bok ritada ek Haukr Erlendsson, eptir peirri bok, sem ritad hafdi herra Sturla lögmadr, hinn frodasti madr, ok eptir peirri bök annarri, er ritad hafdi Styrmir hinn frodi, ok hafda ek bat or hverri sem framar greindi, en mikill porri var pat er paer sögdu eins bädar ok pvi er pat ekki at undra po pessi landnämabök se lengri enn nokkur önnur." Björn Olsen, der die Frage am umsichtig- sten angegriffen hat, findet in dieser Stelle ausgesprochen, daß die erste Grundlage der Landnäma dem Ari und Kolskeggr zu verdanken sei*, er meint aber zugleich, daß damit unmöglich auf die settartala des Ersteren in seiner älteren Islendingabok hingewiesen sein könne. Diese könne nämlich unmöglich so großen Urafanges und so reichen Inhaltes gewesen sein, daß sie mit Recht als die Grundlage des ge- waltigen Werkes bezeichnet werden könnte , welches uns unter dem Titel der Landnäma vorliegt, und überdies zeige, was uns von jener settartala in den oben besprochenen Genealogien der Bischöfe und Aris selbst noch erhalten sei, in der That ganz den Charakter bloßer Stammtafeln, und liege so weit von den mannigfachen Erzählungen unserer Landnäma über einzelne landnämsmenn oder Nachkommen von solchen ab, daß Herr Haukr, wenn er nur jene im Auge gehabt hätte, unmöglich hätte sagen können, er habe nach ihnen seine Land- näma geschrieben. Außerdem gebe Haukr ausdrücklich an, daß in den beiden Werken von Sturla und Styrmir, die er unmittelbar be- nützte, der größere Theil des Inhaltes übereingestimmt habe; ein gemeinsames Original müsse demnach beiden Werken zu Grunde gelegen haben, und dieses könne nur in den von Haukr selbst un- mittelbar zuvor, offenbar auf Grundlage von Angaben, die er in Sturlas und Styrmirs Werken gefunden hatte, erwähnten Arbeiten Aris und Kolskeggs gesucht werden. Nun ergebe sich aber aus der Landnäma IV, Cap. 4, S. 249, daß Kolskeggr nur für einen bestimmten Theil der Insel als Gewährsmann gedient habe, und könne demnach, da nirgends von einer besonderen Schrift Kolskeggs die Rede, und auch nicht bekannt sei, daß dieser irgend welchen Antheil an der settartala Aris gehabt habe, welche sich Ari vielmehr lediglich selbst

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zuschreibe, Hauks Angabe nur dahin verstanden werden, daß Ari mit Hilfe von Kolskegg eine eigene, von der älteren Islendingabok zu unterscheidende Landnämabök verfaßt habe, welche dann das für Styrmir und Sturla gemeinsame Original bildete. Scharfsinnig wie sie ist, vermag ich diese Beweisführung doch nicht als zutreffend anzu- erkennen. Herr Haukr sagt uns nicht, daß Ari eine Landnämabök verfaßt, sondern nur, daß er über die „landnäm", d. h. über die ersten Niederlassungen auf Island geschrieben habe; das brauchte aber nicht noth wendig in einem eigenen Buche, sondern konnte wohl auch in einem größeren Werke geschehen sein, welches neben diesen Nieder- lassungen auch noch ganz andere Dinge behandelte. Nun berichtet der Prolog zur Heimskringla, daß Ari in seinem Werke, d. h. in seiner älteren Islendingabok, unter Anderem auch „um Islands bygd", also über die Besiedelung Islands gesprochen habe, und es liegt nahe, unter dieser Bezeichnung eben jene Aufzeichnungen über die „land- näm" wiederzuerkennen, von welchen Haukr spricht, während meines Erachtens auch nichts im Wege steht, gerade den damit bezeichneten Inhalt der älteren Islbk. mit jener „settartala" in Verbindung zu bringen, von welcher der Prolog der Heimskr. nicht spricht, während wir doch aus Aris eigenen Worten wissen, daß sie in seiner älteren Islbk. vor- handen gewesen war und erst in deren zweiter Redaction gestrichen wurde. InderThat kann ja noch von der uns vorliegenden Landnämabök ebensogut gesagt werden, daß sie von der Besiedelung Islands handle, als daß sie Geschlechtsregister enthalte, und mochte darum für den einschlägigen Theil der älteren Islbk. gleichfalls ebensowohl von dieser als von jener Seite her die Bezeichnung gewählt werden. Daraus aber, daß unsere Landnäma, und zwar nicht nur in der Hauksbök, sondern auch in der Melabök und in der Redaction, welche man auf Sturla rördarson zurückzuführen pflegt, ein ungemein umfangreiches Werk ist, darf man noch nicht sofort auf einen entsprechenden Umfang der Aufzeichnungen Aris schließen, und aus der weitreichenden Überein- stimmung der Werke Styrmirs und Sturlas läßt sich zwar folgern, daß für beide ein gemeinsames Original benützt und nur in ver- schiedenen Richtungen erweitert wurde, aber keineswegs, daß dieses Original gerade von Ari verfaßt gewesen sei. Haukr wollte vielmehr, wie es scheint, eben nur die Verfasser der ältesten Aufzeichnungen über die Besiedelung Islands und die Verfasser der beiden von ihm benützten Werke über diese nennen, womit denn doch keineswegs gesagt ist, daß nach seiner Meinung zwischen diesen und jenen keine weiteren Mittelglieder inzwischen lagen; im Gegentheil wäre geradezu

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unerklärlich, wenn von Ari ab bis herunter auf Styrmir (f 1245) und Sturla (f 1284), also ein volles Jahrhundert hindurch gar Niemand mit dem auf Island so populären Stoffe sich befaßt hätte, während dann in rascher Folge Styrmir, Sturla, Haukr Erlendsson (f 1334) und Snorri Marküsson ä Melum (f 1313) denselben behandelten. In der That bringt die Natur der Sache mit sich, daß Aufzeichnungen, welche über die Besiedelung des Landes und die Genealogie der ver- schiedenen in dieses eingewanderten Geschlechter Aufschluß geben wollten, nur sehr allmälig aus beschränkteren Anfängen zu größerem Umfange heranwachsen konnten; wie Sturla die Geschlechtsregister der Sturlunger, Snorri Marküsson die seines eigenen Hauses und des Hauses seiner Frau, Haukr die seines mütterlichen Hauses in den überkommenen Text einfügte, und der Prior Styrmir mancherlei legendenhafte Erzählungen in diesen hereingebracht zu haben scheint (vgl. z. B. Landnäma I, Cap. 15, S. 50 51, Anm.) , so wird wohl auch früher schon von Anderen verfahren worden sein, und mag sein, daß jener Brandr prior hinn frödi Halldörsson , von welchem die Landn. II, Cap. 15, S. 108, Anm. 7, sagt, daß er „mest hefir skrifat Breidfirdinga kynslod", gerade in jene Zwischenzeit zwischen Ari und Styrmir fällt, da die über seine Genealogie erhaltenen Notizen ihn ungefähr zu einem Zeitgenossen Aris machen könnten, während sein Titel als Prior auf eine etwas spätere Zeit deuten dürfte. Neben der Mehrung und Weiterführung der Geschlechtsregister mag sich auf diesem Wege auch die Zahl der geschichtlichen Notizen über einzelne Personen vermehrt haben, indem man zumal die mündlich umlaufenden oder auch bereits aufgezeichneten Islendingasögur zu solchem Behufe ausnützte, und da jeder spätere Bearbeiter die von seinen Vorgängern gemachten Zusätze vor sich hatte, begreift sich leicht, daß im Verlaufe von ein bis zwei Jahrhunderten aus Aris weit dürftigeren Aufzeichnungen nach und nach ein so reichhaltiges Werk wie unsere Landnäma erwachsen konnte. Ari aber konnte trotz dieses späteren Wachsthumes dem Haukr immerhin noch als der Erste er- scheinen, welcher über diese Dinge geschrieben hatte, oder, worauf Gudbrandr Vigfusson Werth gelegt hat, von dem Schreiber einer frühestens am Anfange des 14. Jahrhunderts entstandenen Handschrift der Gunnlaugs saga ormstungu als „mestr frsedimadr ä IslandTä landnäms- sögur ok forna frsedi' gerühmt werden (lslendinga sögur II, S. 189; vgl. Vorwort S. XXI u. XXXIX), wenn er auch keine eigene Landnäma- bök geschrieben hatte. Aus den Genealogien der fünf ersten Bischöfe der Insel und Aris selbst, wie sie uns am Schlüsse der jüngeren

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Islbk. erhalten sind, auf das Aussehen der scttartala in der älteren Islbk. zu schließen, scheint mir ferner ganz und gar unstatthaft, da wir ja schlechterdings nicht wissen können, ob dieselben dieser ihrer Quelle unverändert entnommen , oder mehr oder minder umgestaltet und abgekürzt worden seien. Bezüglich der Betheiligung Kolskeggs endlich an den betreffenden Aufzeichnungen möchte ich annehmen, wie dies ja auch Björn Olsen im Timarit S. 234 235 gethan hat, daß Hauks Angabe nicht völlig genau sei. Der in der Landn. IV, Cap. 3, S. 245 mitgetheilte Stammbaum Kolskeggs zeigt, daß dieser ebenso wie Ari im sechsten Grade der absteigenden Linie von einem Landnahmsmanne abstammte, und andererseits Finnr Hallsson, der in den Jahren 1139 1145 das Gesetzsprecheramt bekleidete, ein Enkel seiner Schwester Ingileif war. Man wird den Mann hiernach als einen älteren Zeitgenossen Aris betrachten dürfen, und da die Landn. IV, Cap. 4, S. 249 von seiner Betheiligung an der Überlieferung sagt: „Nu hefir Kolskeggr fyrir sagt he (tan fra um landnäm", scheint eher an eine mündliche als an eine schriftliche Mittheilung desselben ge- dacht werden zu müssen. Erinnert man sich nun, wie Ari Punkt für Punkt die Gewährsmänner anzuführen pflegt, denen er seine Nach- richten verdankte, so liegt die Vermuthung nahe, daß Kolskeggr es war, bei dem er sich über die Verhältnisse des Ostlandes Raths er- holt hatte. Unter dieser Voraussetzung kann es dann auch nicht auf- fallen, daß Ari die „aettartala" seiner älteren Islbk. sich selber bei- legt, oder daß Snorri den Abschnitt ..um Islands bygd" als von ihm geschrieben bezeichnet, ohne daß der Eine oder Andere dabei Kolsk- eggs gedenkt; der schiefe Ausdruck Hauks aber erklärt sich leicht durch die Annahme, daß er seine Nachricht über Kolskeggs Bethei- ligung an den älteren Aufzeichnungen eben nur der angeführten Stelle der Landnäma entnommen und diese irrthümlich auf eine schriftliche statt auf eine mündliche Mittheilung bezogen habe. Sind aber die bisherigen Erörterungen begründet, so ist auch sofort klar, daß die Folgerungen nicht stichhaltig sind, welche Björn Olsen, ang. 0., S. 226 228, aus einigen auf Ari sich berufenden Stellen, nämlich riyrbyggja, Cap. 7, S. 8, dann Laxdsela, Cap. 4, S. 8 vgl. mit Landn. II, Cap. 15, S. 108—109, endlich Landn. II, Cap. 14, S. 106 ziehen will. Sie setzen voraus, daß der Theil der älteren Islbk., welchen Ari selber als aettartala bezeichnet, schlechterdings nichts ^enthalten haben könne, was nicht strengstens unter den Begriff einer Stammtafel fiel, und daß somit alle über diesen Begriff hinausgehenden Angaben , welche auf Ari zurückgeführt werden und doch weder in dessen jüngerer

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Islbk sich finden, noch unter den Begriff der konüngasefi gebracht werden können, aus einer von ihm verfaßten Landnamabök entlehnt sein müssen. Erinnert man sich dagegen daran, daß Snorri in seinem Prologe zur Heimskringla anstatt der settartala einen Abschnitt „um Islands bygd" als in der älteren Islbk. enthalten nennt und überdies beifügt, daß diese außer den „konunga aefi" nebenbei auch noch „störtidindi, er gerzt höfdu her a landi" besprochen habe, so begreift sich leicht, daß der von Ari als settartala bezeichnete Theil seines früheren Werkes ganz wie unsere Landnamabök, wenn auch in geringerem Umfange als diese, neben den Stammtafeln der isländischen Häuser auch An- gaben über Ort und Zeit ihrer Niederlassung auf der Insel, und im Zusammenhange mit beiden auch Angaben über bemerkenswerthe Ereignisse im Leben einzelner hervorragender Angehörigen derselben brachte, und daß von hier aus allerdings nicht nur genealogische Notizen aus diesem Werke entlehnt werden konnten. Ganz ähnlich steht es aber meines Erachtens auch noch bezüglich eines letzten Argumentes, welchem Björn Olsen ganz besonderen Werth beilegt. In der Sturlünga VII, Cap. 12, S. 203 finden sich bekanntlich genea- logische Notizen eingestellt, welche wenigstens theilweise auf Ari zurückzuführen sind; die gelegentlich eingeschalteten Worte „sva segir Teitra können über diese ihre Herkunft keinerlei Zweifel auf- kommen lassen. Nun stehen am Anfange dieser Notizen Angaben über Ketilbjörn Ketilsson, den Stammvater der Mosfellingar, welche nicht nur in der Landnäma ihre Parallele finden , sondern theilweise auch in unserer Islbk-, Cap. 2, S. 5, und in den ihr angehängten Bischofs- genealogien wiederkehren; da jedoch alle diese Stellen theils ihrem Inhalte, theils wenigstens ihrem Wortlaute nach mehr oder weniger von einander abweichen, glaubt Björn Olsen annehmen zu müssen» daß die Bischofsgenealogien, wie schon oben bemerkt, den Text der älteren Islbk. wiedergeben, aus welchem dann durch Überarbeitung die Angaben der uns erhaltenen jüngeren Islbk. hervorgingen, wo- gegen die Sturlünga uns den Text der Landnamabök Aris biete, aus welchem , ebenfalls wieder durch Überarbeitung , der Text unserer Landnäroa erwachsen sei, wie dieser ziemlich gleichmäßig in deren verschiedenen Redactionen vorliegt. Aber bezüglich der Bischofs- genealogien ist oben bereits bemerkt worden, daß jeder Beweis für die Annahme fehlt, daß dieselben uns den unveränderten Text der älteren Islbk. reproducieren ; da es sich bei ihnen nur darum handelte, „cyn byscopa Islendinga oc attar tala" zu geben, lag es vielmehr sehr nahe, Alles wegzulassen, was nicht strengstens zu einer Stamm-

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tafel gehörte. Ganz ebenso steht aber auch bezüglich der angeführten Stelle der Sturlünga in keiner Weise fest, daß sie unverändert, und daß sie ihrem vollen Inhalte nach aus irgend einem Werke Aris her- übergenommen worden sei; vielmehr ergeben sich sofort sehr be- stimmte Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme, sowie man die Textes vergleichung noch etwas weiter über die von Björn Olsen in Betracht gezogenen Worte hinaus fortsetzt. Schon am Schlüsse ihres Cap. 12 fügt die Sturlünga, nachdem sie von Ketilbjörns Sohn Teitr und dessen Kindern, Gizurr hinn hviti und Jorunn, gesprochen hat, die Bemerkung bei: „fleiri vöru börn Teitz en her eru nefnd", während die Landnäma V, Cap. 12, S. 313 noch einen Ketilbjörn als Teits Sohn nennt, welcher doch wohl auch in der Vorlage der Sturl- ünga genannt gewesen sein wird; weiterhin aber wird noch auf Bischof Isleif, den Sohn des weißen Gizurs, eingegangen und bemerkt: ,,ok er fra honum mikil saga, sem getr i sögu Olafs ins helga (lies: Tryggvasonar), ok svä frä pvi er hann for üt hingat med kristni-bod til Islandz, ok peir Hjalti Skeggjason ör fjörsardali". Man sieht bereits hieraus, daß von dem Compilator unserer Sturlünga Manches von Aris Worten gestrichen, und daß andererseits neben ihm auch wohl noch die eine oder andere weitere Quelle benützt wurde; noch deutlicher tritt dies aber zu Tage, wenn man auch noch Cap. 13 u. 14 der Sturlünga heranzieht, in weichen Ari gleichfalls als Gewährsmann benützt und auch angeführt wird. Im Ganzen stimmen diese beiden Capitel mit Cap. 9 u. 10 der jüngeren Islbk. überein; in Cap. 14, S. 204 wird einmal mit den Worten „sva sagdi hann Ära presti" auf einen Gewährsmann Bezug genommen, wo diese letztere, Cap. 10, S. 15, sagt: „sva sagpi hann oss", und in Cap. 14, S. 205 wird sogar, wenn eine sehr einleuchtende Emendation Guctbrandr Vigfussons richtig ist, eine Stelle aus der jüngeren Islbk., Cap. 9. S. 13 14; unverändert abgeschrieben, an welcher Ari in erster Person von sich selber spricht, während gleich darauf wieder referierend bemerkt wird : „en Hallr sagdi svä Ära presti inum froda". Läßt schon diese Ver- schiedenheit der Citierweise auf eine gewisse Willkürlichkeit schließen, mit welcher der Compilator die von ihm benützte Vorlage behandelte, so fehlt es auch nicht an weiter gehenden Abweichungen. Darauf zwar will ich keinen Werth legen, daß unsere Islbk., Cap. 9, S. 14, gelegentlich der Bischofsweihe Isleifs sagt: „pä vas Leo septimus päve", wogegen es in der Sturl., Cap. 13, S. 204, heißt: „pä var Leo pävi, er hinn niundi hefir verit med pvi nafni" daß ferner die erstere Quelle Isleifs Tod „ä drottins degi 6. nottom eptir hötip J)eira

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Petrs oc Pols, 80: vetra eptir Olafs fall Tryggvasonar" erfolgen läßt, die letztere dagegen „sjau nöttum eptir Petrs missu ok Pals", daß endlich unsere Islbk. Cap. 10, S. 17 sagt, daß „Philippüs Suia conungr" im Jahre 1118 verstorben sei, während in der Sturl. Cap. 14, S. 205: ,, Philippüs Frakka-konungr" als gestorben genannt wird. In allen diesen Fällen werden wohl Schreibfehler vorliegen, und zwar wird, da P. Leo VII. schon im Jahre 939, dagegen Leo IX. wirklich im Jahre 1054 starb, in welchem Isleifr geweiht wurde, im ersten Falle der Fehler auf Seiten unserer Islbk. liegen , wogegen in den beiden anderen Fällen die Sturlünga sich desselben schuldig gemacht hat, da im Jahre 1080 der 5. und nicht der 6. Juli auf einen Sonntag fiel, und da Philipp I. , welcher unter allen französischen Königen dieses Namens allein in Frage kommen könnte, schon im Jahre 1108 starb, wogegen das Jahr 1118 für den Tod des Schwedenkönigs Phi- lippüs Hallsteinsson paßt. Aber wenn B. Jon Ogmundarson in der Sturl., Cap. 13, S. 204, als ,,inn helgi" bezeichnet wird, so kann dies nur auf einem Zusätze beruhen, welcher nach dem Jahre 1200 ge- macht wurde, in dem der Mann für heilig erklärt wurde; wenn ferner der Bericht über die Entstehung der Haflidaskrä, welchen unsere Islbk. in ihr Cap. 10 einflicht, in Cap. 14 der Sturl. fehlt, so läßt sich dies allerdings ganz wohl daraus erklären, daß es dieser letzteren nicht um die Geschichte Islands , sondern nur um die Geschichte des Hauses der Haukdrelir zu thun war, für welche jene Gesetzgebung keine Bedeutung hatte, aber die Streichung zeigt doch immerhin, daß der Compilator der Sturl. seine Vorlage mit einer gewissen Freiheit behandelte; wenn endlich am Schlüsse des Cap. 14 der Sturl. die Ge- schichte der Haukdselir bis zum Tode des Hallr Teitsson (f 1150) und in den folgenden Capiteln noch weiter herabgeführt wird, also bis in Zeiten, für welche Aris Werke gar nicht mehr als Quellen dienen konnten, so zeigt sich eben doch wieder ganz deutlich, daß diese zwar benützt und theilweise sogar recht ungeschickt getreu aus- geschrieben, anderseits aber doch auch wieder abgekürzt, in Bezug auf die Wortfassung verändert und aus anderweitigen Quellen ergänzt worden waren. Schon hieraus ergibt sich, daß man aus dem reicheren Inhalte und der abweichenden Wortfassung der Sturlünga, verglichen mit den mehrerwähnten Bischofsgenealogien, soweit beide überhaupt parallel laufen, noch keineswegs darauf schließen kann, daß diese und jene nicht aus der gleichen Quelle geschöpft sein können; die Verschiedenheit des Zweckes beider Excerpte, die Zuthaten, welche der Compilator der Sturlünga anderen Quellen entnahm, endlich auch

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die Verschiedenheit der hier und dort, absichtlich oder zufällig, vor- genommenen Änderungen in der Wortfassung konnten vielmehr solche Verschiedenheiten recht wohl zur Folge haben, wenn auch beiderseits ein und dasselbe Werk Aris benützt worden war. Hiezu kommt nun aber noch ein ganz anderer Umstand zu erwägen. Björn Olsen nimmt freilich S. 228 229 ohne Weiteres an, daß Cap. 12 der Sturlünga aus Aris Landnämabok, dagegen deren Cap. 13 u. 14 aus dessen jüngerer Islendingabok entnommen sei; in der Sturlünga selbst aber zeigt sich mit keinem Worte angedeutet, daß hier und dort verschiedene Werke desselben Mannes benützt worden seien, während man doch wohl berechtigt wäre, eine solche Andeutung zu erwarten, wenn plötzlich von einem Werke Aris zu einem ganz anderen übergegangen worden wäre. Überdies ist zwar allerdings richtig, daß der Inhalt des Cap. 13. u. 14 der Sturlünga sich mit dem der jüngeren Islbk. genau berührt, aber doch zu viel gesagt, wenn diese beiden Capitel als „ordrjettur üt- drättur ür Islendingabok hinni ingri" bezeichnet werden. Unmöglich ist allerdings, daß der Inhalt jener Capitel aus einer Landnämab6k stammen könnte, welche Ari etwa nach seiner jüngeren Islbk. ge- schrieben hätte, weil in eine solche unmöglich eine auf die Geschichte Islands bezügliche Erzählung in ziemlich derselben Gestalt über- gegangen sein konnte , in welcher sie in diese letztere bereits ein- gestellt worden war; aber nichts steht meines Erachtens der anderen Annahme im Wege, daß Cap. 13 u. 14 der Sturl. ganz ebensogut wie das vorhergehende Cap. 12 aus der älteren Islendingabok Aris ge- schöpft worden seien. Die vielfachen stilistischen Abweichungen der Sturl. von unserer Landnämabok einerseits und von unserer Islendinga- bok anderseits neben ihrer principiellen Übereinstimmung mit beiden, würden sich von hier aus leicht erklären ; es fehlt aber meines Erach- tens auch nicht an einem directen Zeugnisse dafür, daß das Cap. 14 der Sturl. wenigstens nur jaus der älteren Islbk. entlehnt sein kann. In Cap. 10, S. 16 unserer Islbk. heißt es nämlich: „Ülfhepinn Gunn- ars sonr ens spaca t6c lögsögo epter Marcus, oc hafpi 9. sumor, pa hafpi Bergporr Hramssonr 6, en hafpi Godmundr rorgeirs- sonr 12. sumor", und oben wurde bereits bemerkt, daß diese letzteren Worte nur der jüngeren, nicht auch der älteren Islbk. angehören können, indem sie nicht vor dem Jahre 1134 geschrieben werden konnten, in welchem das zwölfte Amtsjahr Gudmunds ablief, während die ältere Islbk. nach ihrer Vollendung noch den beiden Bischöfen forläkr Runölfsson und Ketill Porsteinsson, sowie dem Priester Sse- mundr frodi vorgelegt worden war, von welchen der an erster und der

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an letzter Stelle Genannte bereits im Jahre 1133 starben. Gerade der auf Gudmund bezügliche Satz fehlt nun aber in der Sturlünga, während die auf Ulfhedinn und Bergbörr bezüglichen Worte in sie übergegangen sind; eine Thatsache, welche sich sehr einfach erklärt, wenn wir annehmen, daß die betreffende Stelle der Sturlvmga aus der älteren Islendingabök stamme, welche aber völlig unerklärlich bleibt, wenn wir dieselbe auf die jüngere Islendingabök, oder vollends auf eine noch nach dieser von Ari verfaßten Landnämabök zurückzu- führen suchen. Die erheblichste Einwendung, welche Björn Olsen gegen die von mir vertretene Auffassung erhoben hat, glaube ich damit zurückgewiesen und zugleich eine neue Stütze für die von mir ausgesprochene Vermuthung gewonnen zu haben, daß die im Wesent- lichen übereinstimmenden Berichte der Hauksbök und der jüngeren Melabök, der älteren rördar saga hredu und des rorsteins pättr uxaföts über die Entstehung der Ülfljötslög und der Bezirksverfassung Islands auf die ältere Islendingabök Aris zurückzuführen seien, und nicht, wie mein verehrter Freund S. 233 annehmen will, auf eine von diesem verfaßte eigene Landnämabök. Kürzer kann ich mich fassen bezüglich eines Punktes, welchen dieser mehr beiläufig zur Sprache gebracht hat. Schon bei der flüchtigsten Betrachtung unserer Land- nama fällt auf, daß zwar deren zweites, drittes und viertes Buch geschlossen das Westland, Nordland und Ostland der Insel behandeln, daß aber das letzte Landesviertel, das Südland nämlich, theils im ersten, theils im fünften Buche behandelt wird. Es liegt nahe, an eine spätere Störung einer ursprünglich consequent auf die Eintheilung des Landes in Viertel gebauten Eintheilung zu denken, und Björn Olsen ist (angef. 0. S. 235—238) wirklich diesen Weg gegangen. Er macht darauf aufmerksam, daß in dem Bruchstücke der älteren Melabök, welches in den Islendinga sögur I, S. 341 353 (1843) abgedruckt steht, und welches genau wie das fünfte Buch der übrigen Redactionen der Landnäma an der Jökulsa als der Grenze des Süd- und Ostlandes beginnt, um sofort, nach Westen vorgehend, die Niederlassungen im Südlande zu schildern, die Überschrift voransteht: „Her hsefvir upp landnams sögur Islendinga", was denn doch beweise, daß in dieser Redaction das Stidland unzerrissen an der Spitze des ganzen Werkes gestanden sei, und er findet eine weitere Bestätigung der Annahme, daß dies die ursprüngliche Ordnung gewesen sei, in den oben bereits angeführten Worten der Landn. IV, Cap. 4, S. 249: „Nu hefir Kol- skeggr fyrir sagt hedan fra um landnäm". Diese Worte könnten näm- lich doch nur bedeuten, daß von dem angegebenen Punkte des Ost-

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landes ab bis zum Schlüsse des Werkes die Mittheilungen Kolskeggs als Quelle gedient hätten, was doch nur unter der Voraussetzung richtig sein könne, daß dieses mit dem Ostlande geschlossen habe; überdies könne der dem Ostlande angehörige Mann der Natur der Sache nach doch nur für dieses als Gewährsmann gedient haben, wie denn auch das oben besprochene Excerpt der Sturlünga beweise, daß Ari für die in der östlichen Hälfte des Südlandes gelegene Niederlassung des alten Ketilbjörn sich aufTeitr und nicht auf Kolskeggr berufen habe. Daß spätere Überarbeiter diese ursprüngliche, von Ari gewählte Ein- theilung hinterher änderten , erkläre sich aber sehr einfach daraus, daß es ihnen zweckmäßig geschienen habe, der Aufzählung der ein- zelnen Niederlassungen einen Bericht über die Entdeckung des Landes voranzustellen und dann den ersten Einwanderer folgen zu lassen ; das habe dann nothwendig zu einer Theilung des Südlandes und sogar des hier gelegenen Niederlassungsgebietes des Ingölfr Arnarson führen müssen, welches doch ursprünglich zusammenhängend behandelt worden sei, wie die dasselbe begrenzenden Worte der Landn. V, Cap. 12, S. 316: „Nu er komit at landnami Jngölfs; en peir menn er eru taldir hafa bygt i hans landnami", und I, Cap. 14, S. 47: „Nu eru taldir peir menn er büit hafa i landnami Ingölfs, vestr fra honum" dies zu erkennen geben. Mir scheint nun zunächst aus diesen letzteren Worten gar nichts gefolgert werden zu dürfen. Sie] haben auch in einer Redaction einen guten Sinn, welche wie die uns er- haltenen Bearbeitungen Sturlas und Hauks aus fünf Büchern bestehen, und können in diesen gerade darauf abzielen, die Einheit des von Ingolf in Besitz genommenen Landes gegenüber dem Umstände zu betonen, daß dieses zufolge der gewählten Eintheilung in zwei ver- schiedenen Büchern besprochen werden mußte; ja diese Bedeutung der Worte wird dadurch sogar die wahrscheinlichere, daß sie nur in jenen Redactionen sich mehr oder minder vollständig finden, welche der Eintheilung in fünf Bücher folgen, wogegen sie gerade in der Redaction fehlen, welche nur in vier Bücher zerfallen zu sein scheint, nämlich in der Melabök. Ebensowenig läßt sich meines Erachtens aus der auf Kolskeggs Mittheilungen bezüglichen Bemerkung ein Schluß ziehen. Sie stellt nur den Punkt fest, von welchem ab diese als Quelle gedient haben, läßt aber den anderen Punkt ungenannt, bis zu wel- chem die Gewährschaft des Mannes reichte; man wird freilich gerade aus der Nichtbezeichnung dieses letzteren Punktes folgern dürfen, daß jene Gewährschaft für alles Folgende angerufen werden wollte, aber ob bis zum Ende des ganzen Werkes oder nur bis zum Ende seines

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vierten Buches, erscheint dabei immerhin fraglich. Als alleiniges Beweismittel bleibt somit die Melabok übrig, also eine Redaction der Landnama, welche der Hauksbok ungefähr gleichzeitig und jedenfalls jünger ist als die Bearbeitung Sturlas,- bezüglich ihrer besteht aber ganz ebensogut die Möglichkeit, daß in ihr erst die Eintheilung in vier Bücher durchgeführt wurde, weil sich ihrem Bearbeiter gegen die in seiner Vorlage gefundene Spaltung des Südlandes in zwei Theile Bedenken erhoben, als die andere, daß derselbe eine ältere Eintheilung ausnahmsweise beibehielt, welche die beiden anderen uns erhaltenen Redactionen aufgegeben hatten. Da halte ich nun von vornherein für wahrscheinlicher, daß ein Mann, welcher die Eintheilung in fünf Bücher vorfand, sie in eine Eintheilung in nur vier Bücher um- gestaltete, um die Regel gleichmäßig durchzuführen, daß jedem Landes- viertel ein eigenes Buch entspreche, als daß umgekehrt Jemand, der diese glatte und ebenmäßige Eintheilung bereits gegeben vor sich hatte, dieselbe gestört hätte, bloß um mit einem Berichte über die Entdeckung des Landes anfangen zu können, der im Grunde mit der ganzen Anlage des Werkes gar nichts zu thun hatte; entscheidend spricht aber meines Erachtens für diese meine Annahme die Abstam- mung der Landnama von der älteren Islendingabök. In dieser letzteren mußte der Natur der Sache nach an der Spitze des ganzen Werkes von der Entdeckung der Insel gesprochen werden, an welche sich hinwiederum die Besprechung des ersten Einwanderers und seiner Nieder- lassung von selbst anschloß; damit war dann aber die getheilte Be- handlung des Südlandes mit Nothwendigkeit gegeben, da der Verfasser bei der Aufzählung der einzelnen Niederlassungen, wenn er überhaupt in topographischer Ordnung vorgehen wollte, eben nur die Wahl hatte, entweder nach Norden und Westen, oder aber nach Süden und Osten vorzuschreiten. Nimmt man also, wie ich dies thue, an, daß Ari keine gesonderte Landnämabök verfaßt habe, sondern daß nur der auf die Einwanderung bezügliche Abschnitt seiner älteren Islendingabök die Grundlage gebildet habe, auf welcher spätere Bearbeiter eine solche aufbauten, so ist klar, daß die Gestaltung dieser seiner Islbk. für solche spätere Bearbeitungen maßgebend werden und sie zur Zer- legung ihres Stoffes in fünf Bücher bestimmen mußte; will man da- gegen mit Björn Olsen an die Abfassung einer eigenen Landnämabök durch Ari selbst glauben, so ändert auch dies in der Hauptsache nichts, indem solchenfalls eben nur anzunehmen wäre, daß für die Gestaltung der Landnämabök Aris selbst dessen älteres Werk in der hier fraglichen Beziehung von entscheidendem Einfluß gewesen wäre.

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Zum Schlüsse bleibt nur noch eine letzte, bisher ganz außer Betracht gelassene Frage zur Prüfung übrig, die Frage nämlich, ob imd in welcher Weise etwa auch die Kristni saga mit den Werken Aris in Verbindung zu bringen sei? Über die älteren bezüglich dieser Frage geäußerten Ansichten findet man bei O. Brenner, ang. 0. S. 3 5 genügenden Aufschluß, und glaube ich demnach auf sie nicht weiter mehr eingehen zu sollen; ich erwähne demnach hier nur Folgendes. In seiner Vorrede zu Bd. I der Biskupa sögur (1858) S. XIX XXIII hat Gudbrandr Vigfüsson mit schlagenden Grün- den die früher vielfach ausgesprochene Ansicht widerlegt, daß Herr Haukr Erlendsson, auf dessen Handschrift unser Text der Quelle aus- schließlich beruht, auch deren Verfasser gewesen sei; er nimmt viel- mehr an, daß Haukr die Kristni saga, welche in der Hauksbök nur einen mit der Landnäma verbundenen Abschnitt bilde, aus der Land- nämabök des Styrmir Kärason bezogen habe, die er ja nachweisbar benützte, daß aber auch Styrmir nicht deren Verfasser gewesen sei, welchen man vielmehr in einem Manne aus dem Schlüsse des 12. Jahr- hunderts, vielleicht dem Mönche Oddr Snorrason von ringeyrar, zu suchen habe, der dabei Aris Islendingabök als Vorbild benützt und mehrfach abgeschrieben habe. Während N. M. Petersen in seiner altnordischen Litteraturgeschichte (Annaler for nordisk Oldkyndighed og Historie, 1861) S. 206 sich gegen die Verfasserschaft Aris aus- sprach und insbesondere hervorhob, daß der Stil der Sage und deren Lust am Sammeln von Legenden keineswegs auf ihn hindeute, er- klärte sich R. Keyser (Efterladte Skrifter I, S. 467 und 491—492, 1866) nicht nur sehr entschieden gegen die ältere Annahme, daß Haukr deren Verfasser sei, sondern er meinte auch, daß deren erster Entwurf mit großer Wahrscheinlichkeit dem Ari beigelegt werden könne, während die Sage die Gestalt, in welcher sie uns vorliege, allerdings erst etwas später, aber doch jedenfalls noch vor dem Jahre 1200 erlangt habe. Ich selber hatte mich zunächst in meiner aka- demischen Abhandlung „Über die Ausdrücke altnordische, altnorwegi- sche und isländische Sprache" (1867, S. 495 und 681, Anm. 39, vgl. S. 565, Anm. 19) wesentlich an Gudbrand Vigfüsson's Äußerungen angeschlossen und nur noch darauf aufmerksam gemacht, daß be- stimmte Spuren darauf hinzudeuten scheinen, daß ein lateinisches Original bei der Abfassung der Sage gedient habe; im Bande XV der Germania, S. 298 und 318 aber (1870) wies ich sehr bestimmt auf deren Zusammenhang mit der älteren Islendingabök Aris hin, ohne den Punkt doch weiter zu verfolgen. Wenig später (1873) ließ

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auch G. Storni (Snorre's Historieskrivning S. 50) die Kristni saga zwischen den Jahren 1190 und 1200 aus einem Theile der Islbk. be- arbeitet und zu einer eigenen Sage erweitert werden, und wenig später (1877) erklärte E. Sars (Udsigt over den norske Historie II, S. 314) für feststehend, daß dieselbe an Ari's kurze Aufzeichnungen über die Einführung des Christenthums auf Island und über die ersten islän- dischen Bischöfe sich angeknüpft habe. Im Jahre 1878 aber kam zunächst Gudbrandr Vigfüsson in den Prolegomena zur Sturl- ünga S. XXXIV nochmals auf die Frage zurück und sprach sich dabei nochmals dahin aus, daß die Kristni saga in der Hauksbök nur ein Appendix zur Landnama zu sein scheine. In der Päls biskups saga werde ferner ein Stück von ihr auf Aris Namen angeführt, nach dessen Stil und Methode die Sage auch durchaus abgefaßt sei; ihm dürfe sie darum entschieden zugesprochen werden , wenn auch die verändernde Hand eines späteren Bearbeiters, vielleicht des Mönches Oddr, nicht zu verkennen sei. Sodann aber veröffentlichte ziemlich gleichzeitig Oscar Brenner seine oben angeführte Schrift, in wel- cher er im Einzelnen die Quellen der Kristni saga nachzuweisen suchte. Er glaubt zunächst das 14. und letzte Capitel derselben von den 13 vorangehenden scheiden zu müssen, welche letzteren allein die eigent- liche Kristni saga bilden. Diese sei von Anfang an eine Fortsetzung der Landnama und ursprünglich mit ihr ein Bestandtheil von Aris älterer Islendingabök gewesen; uns aber sei sie nicht mehr in der- selben Form erhalten, welche ihr Ari in dieser gegeben hatte. Ins- besondere seien die beiden Hälften, in welche die Sage sichtlich zerfalle, nämlich die Geschichte der Bekehrung Islands während der Jahre 981 1000 (cap. 1 11) und die Geschichte seiner ersten ein- heimischen Bischöfe in den Jahren 1056 1118 (Cap. 12 13) ursprüng- lich nicht zu einem für sich abgeschlossenen Ganzen verbunden, sondern noch durch eingestreute Stücke der politischen Geschichte von einander getrennt gewesen. Erst später sei die nunmehrige Kristni saga aus der älteren Islbk. herausgeschält worden, wahrscheinlich von demselben Manne, welcher aus dieser auch eine Landnamabok heraus arbeitete und im Zusammenhange mit dieser. Die politische Geschichte, für welche durch die jüngere Islbk. bereits genügend ge- sorgt war, sei dabei bei Seite gelassen, dagegen aber der aus dem älteren Werke Aris entnommene Stoff durch anderweitige Nachrichten erweitert, und was die Kristni saga betrifft, auch nach chronologischen Gesichtspunkten neu geordnet worden. „Wie die KS. jetzt mit der Ldn. verbunden ist, gibt das Ganze ein eigenthümlich unvollkommenes

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Werk, wie es von Anfang an unmöglich planmäßig componiert sein kann; nur in der Entstehung des Werkes findet es seine Rechtferti- gung, wenn von der Geschichte Islands nur die Besiedlung, welche mit dem Christenthurn nichts zu thun hat, die Bekehrung und die bischöfliche Regierung, welche von der Besiedlung unabhängig und zeitlich getrennt ist, hier verbunden erscheinen" (S. 156). Das Maß der neuen Zuthaten, welche der aus der älteren Islbk. entnommene Kern dabei erhielt, lasse sich ebensowenig mit Sicherheit bestimmen als deren Quelle; möglich, daß der Mönch Gunnlaugr Leifsson von fingeyrar, welcher nach den Annalen im Jahre 1218 oder 1219 starb, bei der Umarbeitung benützt wurde, kaum der etwas ältere Mönch desselben Klosters Oddr Snorrason. Jedenfalls werden aber mehr- fache Überarbeitungen der Sage angenommen werden müssen, bei denen nicht an Oddr, eher dagegen an Gunnlaugr oder Styrmir zu denken erlaubt sei; eine solche Überarbeitung müsse noch zur Zeit des Bischofs Botolfr von Hölar (1238 1246) stattgefunden haben, auf welchen einmal in der Sage Bezug genommen wird. Das 14. Capitel aber, welches ursprünglich nicht zu der Sage gehörte, sei erst bei der letzten oder vorletzten Überarbeitung derselben an sie ganz oder theilweise angestoßen, jedenfalls aber sehr stark bearbeitet worden. Die Angaben, welche dasselbe über das Geschlecht des Haflidi Marsson bringt, sollen auf die Sturlunger verweisen, und da feststeht, daß Sturla rördarson einerseits die Sturlünga, andererseits aber auch eine Bearbeitung der Landnäma verfaßt hat, welche für die Hauksbök benützt wurde, vermuthet Brenner, daß gerade er die Kristni saga, welche ja nur eine Fortsetzung der Landnäma bildete, mit jenen Zu- sätzen bereichert habe; er habe wohl aus der Landnäma eine große Islendinga saga machen wollen, hinterher aber sich in seiner Arbeit unterbrochen, und später die jüngere Zeit in einem besonderen Werke, der Sturlünga nämlich, bearbeitet. Die Kristni saga, an welcher er vielleicht auch Einzelnes geändert habe, habe er aber wohl schon als solche vorgefunden, so daß also schon vor ihm der in sie übergegan- gene kirchengeschichtliche Stoff aus seiner ursprünglichen Verbindung mit der Aufzählung der Gesetzsprecher und anderen weltlichen Ereig- nissen herausgelöst gewesen sei; möglicherweise habe schon die Land- närnabök Styrmirs eine ähnlich gestaltete Kristni saga enthalten. Ich bemerke endlich noch, daß C.